Mülheim. Wer zur Mülheimer Ausländerbehörde muss, braucht viel Geduld. Die Warteschlange ist meist lang. Wie sich der Zustand für Eingewanderte anfühlt.
Düstere Aussichten um sieben Uhr morgens am Ausländeramt an der Leineweberstraße in Mülheim. Es öffnet erst eine Stunde später. Trotzdem ist das Ende der Schlange vom Eingang aus nicht mehr zu sehen. Längst stehen die Wartenden hinter der Kurve in der nächsten Straße - und alle paar Minuten gesellen sich mehr dazu. Wenn sie Glück haben, schaffen sie es nach ein paar Stunden wenigstens ins Gebäude. Ob sie dann noch drankommen, steht auf einem anderen Blatt.
Manche sind deshalb sogar seit sechs Uhr da. Sie wissen, dass es ihre einzige Chance ist. „Man ruft Hundert Mal an, keiner geht dran. Man schreibt Mails, keiner antwortet. Man steht vor der Tür, wartet stundenlang und wird zum Teil trotzdem abgewiesen“, fasst ein 32-jähriger Syrer die Lage zusammen und schüttelt genervt den Kopf.
Keine Termine beim Ausländeramt in Mülheim - viele müssen sich extra Urlaub nehmen
Seit sechs Jahren ist er in Deutschland. In regelmäßigen Abständen muss er zur Ausländerbehörde. Jedes Mal erlebt er die gleiche Tortur. „Heute ist wenigstens schönes Wetter“, sagt er zynisch, mit Blick auf die aufgehende Morgensonne. „Manchmal stand ich hier im strömenden Regen oder bei Minusgraden im Schnee.“
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Er will an diesem Tag seine Aufenthaltsbescheinigung verlängern lassen. Die dafür notwendigen Unterlagen hat er schon vor Wochen per Mail eingereicht, bat auch um einen Termin - eine Antwort kam bisher nicht. Der einzige Ausweg: Die Angelegenheit persönlich klären. Deshalb hat er sich extra freigenommen.
So geht es auch einer Frau aus Osteuropa. Auch sie hat sich Urlaub genommen. „Ich bin seit 20 Jahren in Mülheim und habe nie etwas anderes erlebt. Das ist absolut unverschämt. Deutsche sind für ihr Organisationstalent bekannt. Aber sie schaffen es nicht, Termine zu vergeben? Das ist lächerlich.“ Auch Reza Farashahi sagt: „Ich weiß nicht, warum Mülheim das nicht schafft. In anderen Städten geht das längst.“
Aus Angst vor Rassismus trauen sich viele nicht, die Behörde öffentlich zu kritisieren
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Viele, die sich in der Warteschlange äußern, möchten anonym bleiben. Sie fürchten, dass sie durch ihre Kritik noch schlechter im Ausländeramt behandelt werden. „Manche sind so unfreundlich. Ich will meinen Namen besser nicht in der Zeitung lesen“, ist eine der gängigen Antworten an diesem Tag.
Das weiß auch Hasan Tuncer. Er ist Vorsitzender beim Integrationsrat in Mülheim und erklärt: „Viele Menschen mit Migrationshintergrund scheuen sich davor, die Ausländerbehörde zu kritisieren - aus Angst.“ Zum Problem mit der Terminvergabe sagt er: „Einen Termin kann man laut Amt per Mail vereinbaren. Darauf wird aber nicht geantwortet und selbst wenn, erhält man den Hinweis, dass man anrufen soll. Aber darüber erreicht man ja auch niemanden.“ Das habe er schon selbst ausgetestet.
Selbst wer sich stundenlang anstellt, kann Pech haben und abgewiesen werden
Ein Altenpfleger in der Schlange weist auf einen weiteren Punkt hin: „Wir warten hier wie auf einem Präsentierteller. Alle, die vorbeifahren oder vorbeilaufen, gucken uns doof an. Man schämt sich, hier als Ausländer zu stehen“, sagt der 28-Jährige, der ganz am Ende in der Schlange wartet und das zweite Mal auf sein Glück hofft.
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Beim letzten Mal war er nach vier Stunden am Ziel angelangt. Dann habe es geheißen: „Jetzt ist Feierabend. Diejenigen, die nicht drangekommen sind, müssen wann anders wiederkommen.“ Als er das erzählt, guckt ein junger Mann hinter ihm erschrocken. „Meinst du, heute kommen wir dran?“ Der Altenpfleger zuckt mit den Schultern.
Vorsitzender des Integrationsrates kritisiert die Stadt Mülheim
Etwas weiter vorne steht Achmet Özdemir, mittlerweile seit zwei Stunden. „Ich habe dafür überhaupt kein Verständnis. Es ändert sich nichts.“ Auch Rosa Abdi ist bereit, mit Namen zu ihrer Kritik zu stehen: „Das ist ein unfassbares Desaster. Für diesen Zustand fehlen mir die Worte. Es ist jedes Mal das gleiche.“ In ihrer Stimme liegen Enttäuschung und Wut. Sie fügt hinzu: „Und selbst wenn man mal einen Termin bekommt, muss man trotzdem drei Stunden warten.“ Es scheint, als wäre es egal, wen man von den 80 Personen in der Warteschlange fragt - es sind immer die gleichen Antworten.
Dem Vorsitzenden des Integrationsrates geht es auch so. Hasan Tuncer sagt, er könne nur noch mit dem Kopf schütteln. „Wir hören von der Stadt immer nur vertröstende Worte. Die Probleme sind schon lange da und man hat lange weggeschaut.“ Er wünscht sich eine „menschenwürdige Lösung“ und hat die Stadt bereits in mehreren Sitzungen auf den Zustand aufmerksam gemacht - auch mit einem Arbeitsauftrag. „Aber der liegt wahrscheinlich noch in irgendeiner Schublade.“
Stadt nennt in Stellungnahme mehrere Gründe für den Zustand
Die Stadt reagiert mit einer Stellungnahme von Kerstin Kunadt, der Leiterin des Ordnungsamtes, zu dem die Ausländerbehörde gehört. Darin heißt es:
„Termine werden vergeben.“ Das sind Sachverhalte mit längerer Bearbeitungszeit, Personen wie Schwangere oder Mütter mit kleinen Kindern, Großfamilien, Ältere und behinderte Personen. Auch im Meldewesen gibt es Termine. Die Wartezeit beträgt ein bis zwei Wochen. Für alle anderen gelten die normalen Öffnungszeiten. „Würden ausschließlich Termine vergeben werden, würde sich die Wartezeit für einen Termin auf ein Jahr und länger belaufen. Diese Lösung erscheint uns als nicht kundenorientiert.“
„Es ist richtig, dass uns „Schlangenbildung“ seit längerer Zeit begleitet. Das heißt aber nicht, dass hinter den Kulissen nicht fortwährend an der Vermeidung dieser ungünstigen Situation gearbeitet wird.“ Das Problem ließe sich jedoch nicht so einfach lösen - aus mehreren Gründen.
Durch Corona habe sich viel im Ausländeramt aufgestaut
Es gebe ein hohes Aufkommen durch diejenigen, die im Jahr 2015/2016 geflüchtet sind und immer noch betreut werden. Jährlich kämen bis zu 1000 weitere Migrantenhinzu. Das Tagesgeschäft fällt aktuell mit Dienstleistungen bestimmter Staatsangehörigkeiten zeitlich zusammen.
Und: „Durch Corona haben sich die Belange aller hier bereits wohnenden Ausländer aufgestaut. Wir befinden uns noch immer in der Abarbeitung der Auswirkungen.“ Außerdem gebe es einen Fachkräftemangel. Viele Stellen waren oder sind immer noch unbesetzt.
Mülheimer Stadtverwaltung hat Lösungsansätze erarbeitet
Die Stadt schlägt Lösungen vor: So will sie die Stellen im Sommer neu besetzen und eine weitere Immobilie anmieten, um einen Bereich der Ausländerbehörde auszulagern und die Warteschlange zu vermeiden. Mehr Arbeitsprozesse sollen digitalisiert werden.
Es heißt außerdem: „Bei dieser Betrachtung haben wir die Herausforderungen durch die Geflüchteten aus der Ukraine noch nicht einmal berücksichtigt.“
Zum Vorwurf eines vermeintlichen rassistischen Verhaltens der Mitarbeitenden der Ausländerbehörde sagt Ordnungsamtsleiterin Kerstin Kunadt: „Wir distanzieren uns von derartig unhaltbaren Vorwürfen. Unsere Mitarbeitenden in der Ausländerbehörde begegnen allen Kundinnen und Kunden mit dem gebotenem Respekt.“