Oberhausen. Oberhausen leidet unter dem Coronavirus und muss auch unpopuläre Entscheidungen treffen. Welche das sind, erzählt Krisenstabsleiter Michael Jehn.
Mehr als 300 Corona-Todesfälle, Angehörige trauern, Geschäftsleute bangen um ihre Existenz, Alte vereinsamen, das Kulturleben liegt nahezu brach, Familien stehen unter enormem Druck: Oberhausen leidet unter dem Coronavirus und dessen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben. Es sind die vielen Einzelschicksale in dieser Stadt, die auch Oberhausens Krisenstabsleiter Michael Jehn belasten. Fragt man ihn nach seiner Gemütslage, bleibt er eine direkte Antwort zunächst schuldig – er verweist stattdessen auf die vielen Menschen in dieser Stadt, denen es derzeit nicht gut geht.
Wir treffen Michael Jehn zu einem persönlichen Gespräch im Kaisergarten. Mit Blick auf Rhein-Herne-Kanal und Niederrheinstadion erzählt der RWO-Fan und dreifache Vater, wie er die Krise erlebt. Was er empfindet, wenn er schwierige Entscheidungen treffen muss. Was er sich für die Zukunft wünscht. Und wie Corona die tägliche Arbeit im Rathaus beeinflusst.
Corona: Bedrohungslage für Oberhausen
Seit über einem Jahr lenkt Jehn als Leiter des Krisenstabes die Stadt nun schon durch die Pandemie. Als Beigeordneter verantwortlich für die Oberhausener Feuerwehr sei er gewohnt, dass es bei seiner Arbeit um Leib und Leben der Menschen geht. Doch eine derartig langanhaltende Bedrohungslage hat auch er noch nie erlebt. Daher sei es um so wichtiger, nicht nur klare Entscheidungen zu treffen, um die Verbreitung des Virus’ zu stoppen, sondern bei den Menschen auch um Verständnis für diese Entscheidungen zu werben.
„Denn die Menschen sind Corona-müde – und das kann ich sehr gut verstehen“, sagt Jehn. Rufe werden lauter, die strengen Regeln zu lockern, Biergärten und Geschäfte zu öffnen, die Kontaktbeschränkungen aufzuheben. Doch steigende Inzidenzwerte und eine exponentielle Wachstumskurve lassen dies nicht zu. „Unsere Entscheidungen sind auch mal unpopulär, aber laut der Gesundheitsexperten sind sie richtig.“ Jehn meint damit unter anderem auch die Ausgangsbeschränkung, die Oberhausen im vergangenen Dezember verhängt hat, als die Inzidenz weit über 300 lag. Dass es erneut zu solch drastischen Maßnahmen kommt, schließt der Krisenstabsleiter nicht aus.
Krisenstabsleiter Michael Jehn: Coronavirus ist heimtückisch
„Die Menschen sehnen sich nach Normalität“, sagt Michael Jehn. Aber das Virus sei heimtückisch, immer noch werden zu viele Oberhausener so schwer krank, dass sie in einem Krankenhaus behandelt, teils auf der Intensivstation künstlich beatmet werden müssen. „Wir müssen auf die älteren und schwächeren Menschen in unserer Gesellschaft blicken. Wir müssen sie schützen, indem wir dem Virus das Leben so schwer wie möglich machen. Wir dürfen unsere Krankenhäuser nicht an die Kapazitätsgrenzen bringen.“ Die Entscheidungen des Krisenstabes seien geprägt von dem großen Problem, nicht genügend Impfstoff zu haben, erläutert Jehn. Die große Herausforderung der Stadt: „Wir müssen mit den wenigen Mitteln, die wir haben, die beste Wirkung erzielen.“
Aufgewachsen im Marienviertel, zu Hause im Schladviertel
Michael Jehn ist seit Juli 2019 Beigeordneter und verantwortlich für die Bereiche Ordnung, Bürgerservice, Personal und IT. Zuvor war er Chef der Stadtkanzlei. Als Ordnungsdezernent ist er auch für die Oberhausener Feuerwehr zuständig und qua Amt automatisch Leiter eines Krisenstabes im Katastrophenfall.
Jehn ist 51 Jahre alt und hat drei Kinder, 23, 21 und 17 Jahre alt. Aufgewachsen ist der Diplom-Verwaltungsfachwirt im Marienviertel; in der dortigen Gemeinde engagiert er sich bis heute. Mit seiner Familie ist Jehn heute im Schladviertel zu Hause.
Um das zu erreichen, arbeitet Jehn bis zu 70 Stunden in der Woche. Doch angesprochen auf seine persönliche Belastung winkt er schnell wieder ab. Sichtlich ungern erzählt er, wie sehr er es vermisst, seine Freunde zu treffen, die RWO-Spieler im Stadion anzufeuern, ins Theater oder ins Kino zu gehen. Er möchte lieber die anstrengende Arbeit von Pflegekräften hervorheben, die psychische Belastung der Altenheim-Bewohner und ihrer Angehörigen, die angespannte Betreuungssituation in den Familien. Jehn sorgt sich um die Menschen in Oberhausen. Er sei stolz darauf, im Dienste der Stadt und der Bevölkerung einen Beitrag zur Bekämpfung dieser Pandemie zu leisten. Jedes Wort wählt Jehn mit Bedacht – nicht aufgesetzt, sondern ehrlich und glaubwürdig.
Kraftquellen liegen in der Familie und im Glauben
Doch auch ein besonnener und in sich ruhender Krisenstabsleiter braucht Kraftquellen. Jehn findet sie beim Joggen am Wochenende und bei seiner Familie, die ihm den Rücken frei hält und ihm eine große Stütze ist. Hoffnung schöpft er aus seinem christlichen Glauben. Einen Weg aus der Krise gibt es nur, wenn alle diesen Weg gemeinsam beschreiten, da ist sich Jehn sicher. Zusammenhalt sei dieser Tage wichtiger denn je.
Mut macht ihm, dass er diesen Zusammenhalt im Rathaus spürt. Das Team im Krisenstab arbeite mit einem hohen Engagement. Die Solidarität untereinander und Respekt und Achtung füreinander würden sich durch die Corona-Krise weiter verfestigen. „Wir arbeiten als Mannschaft, nicht als Einzelkämpfer.“ Jehn wünscht sich sehr, „dass wir uns diesen Zusammenhalt in Zukunft bewahren“.