Mülheim. Seit drei Jahren betreut Landschaftsarchitekt Oliver König den Mülheimer Auberg. Wie er eine neue Balance schafft zwischen Nutzen und Natur.
Platsch! Der Schritt über den Graben am Eschenbruch lässt den Wanderschuh knöcheltief im nassen Januarboden versinken. Doch er hat sich gelohnt, denn einige Meter dahinter aalt sich neuerdings der Wambach durch ein kleines Wäldchen, baden vergnügt flügelschlagende Vögel im seichten Wasser. Der RVR hat das Mülheimer Bächlein hierhin – in sein historisches Bett – zurückgeholt. Es ist nur eine von vielen Maßnahmen, die den Auberg urwüchsiger, natürlicher machen sollen.
Ein wenig Stolz merkt man Oliver König, der das 120 Hektar große Gebiet für den Regionalverband Ruhr seit drei Jahren hegt und pflegt, durchaus an: Im vergangenen Jahr hat der Landschaftsarchitekt die Zeit genutzt, um eine neue Balance zwischen Freizeit- und ökologischem Nutzen herzustellen.
Wie der Mülheimer Wambach zurück in sein historisches Bett fand
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Der Wambach ist dafür ein gutes Beispiel: „Hier war vor 100 Jahren noch ein Feld“, zeigt König auf das Wäldchen, in dem eine wenigstens ebenso alte Eiche steht. Die hat bereits nahe am Boden stattliche Arme ausgebildet – ein Anzeichen dafür, dass sie einst einsam auf weiter Flur gestanden haben muss. „Denn im Wald machen das Bäume normalerweise nicht“, verrät König. Die ,zugezogene’ Nachbarschaft aus Erlen und anderen Baumarten aber hatte in den drei extrem trockenen Sommern 2018 bis 2020 deutlich gelitten. Die Lösung?
Der Wambach musste wieder zurück in seinen ursprünglichen Lauf, den Bauern vor 100 Jahren zur Bewässerung ihrer Felder verändert hatten. Der RVR hat bei der Renaturierung im vergangenen Dezember bewusst aber nur einen ungefähren Verlauf angelegt – „der Wambach darf ruhig seinen eigenen Weg finden“, meint König. Zwei Vorteile hat das: Die Bäume werden nun natürlich bewässert - und bei Starkregen dient das Wäldchen als natürliche Rückhaltefläche.
Warum Grün nicht gleich Grün ist
Ganze 60 Hektar zusammenhängendes Grünland pflegt der RVR am Auberg. „Das ist einzigartig“, schwärmt König. Was jedoch optisch vielleicht vital grün wirkt, hat eine ungewollte Schattenseite: Über viele Jahre hat hier die Artenvielfalt abgenommen – mit spürbaren Auswirkungen auf das Ökosystem, etwa auf Insekten und Vögel. Schuld daran trägt der durch die Bewirtschaftung und die stickstofflastige Gülledüngung fette Boden – und bisweilen auch der Kot freilaufender Hunde, schildert König. Auch an den Säumen und Gräben hatten sich Brombeeren und Brennnesseln durchgesetzt – sie sind in großen Teilen beseitigt worden, um anderen Pflanzen Raum geben zu können.
Viele wertvolle krautige Arten, die als Nahrungsquelle aber auch Unterschlupf für Insekten dienen, gehören jedoch zu den „Magerkünstlern wie der Hauhechel, die Bibernelle, die Glockenblume“, schildert König. Letztere dient übrigens den bedrohten Wildbienen als weiches Hotel.
Doch werden sie durch fette Böden verdrängt. Um dem Trend entgegenzuwirken, legte der RVR zwischen den weiten und teils bewirtschafteten Flächen – hier wird Gras zu Heu verarbeitet – einige magere Standorte an. Und statt der üblichen Gülle arbeitet der RVR auf den zu bewirtschaftenden Flächen mit Pferdemist.
Auf diesen mageren Streifen aber wird ausschließlich zertifiziertes Regionalsaatgut wie Hahnenfuß, Wilde Möhre, Ferkelkraut, Wiesenlabkraut mit eben einem hohen Anteil an Blütenpflanzen verwendet. Zu erkennen sind diese an ihrer oft dunkleren Färbung und bisweilen an Holzpflöcken, die wie Grenzsteine die Gebiete unterscheiden. Von hier aus sollen diese Arten sich den Raum zurückerobern, den sie vor vielen Jahrzehnten ganz selbstverständlich hatten.
Ein abgestuftes Mahd-System sichert zudem, dass sich Insekten in unterschiedliche Flächen zurückziehen können: So werden am 15. Juni große Wiesenbereiche zwar gemäht, aber andere bleiben bis September erhalten. Und manche werden gar nicht gemäht.
Süß, aber trickreich: Der Neuntöter findet hier wieder viel Beute
Stück für Stück also stellt sich der Auberg so um auf wieder vielfältige Natur. Tiere lockt dies an wie den Neuntöter, der possierlich aussieht, aber seine Leibspeise – Insekten – vorzugsweise auf Dornen aufspießt. Denn der Vogel findet hier wieder mehr Beute ebenso wie Schwarzkehlchen und Wachteln. Ihre Lebensräume werden inzwischen mit Zäunen vor jagenden Hunden gesichert, die aber Hase, Igel und Dachs durchlassen.
Die Ringelnatter ist von Kocks Loch zurückgekehrt, seit der RVR die teils durch Blätter und Schlamm verflachten Teiche und Mulden entschlammt hat und mehrere Eierablage-Haufen anlegte: „Vier Exemplare konnten wir schon nachweisen“, freut sich König.
Beharrlichkeit zahlt sich aus - auch bei widerständigen Wanderern
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Und auch der stattliche, aber offenbar empfindliche Kolkrabe fühlt sich im nahen Wäldchen wieder wohl, seit der Landschaftsarchitekt einen beliebten Trampelpfad an „Dieker Höfe“ geschlossen hat. Und dafür alternativ einen breiten Bürgerweg anlegte. „Es waren mittelalterliche Zustände: Zwei Jahre hat es gedauert, weil die Leute aus Gewohnheit doch immer dort lang gingen“, erzählt er.
Was die Sache erschwerte: Der Sauerländische Gebirgsverein hatte diesen Pfad als Wanderweg ausgezeichnet. Erst legte der RVR Bäume zur Absperrung über den unerwünschten Pfad, dann stellten er Schilder auf. Die Beharrlichkeit aber zeichnete sich aus. Ärger mit Mountainbikern übrigens stellt der Naturschützer kaum fest.
An der ehemaligen Birkenallee wachsen nun Linden
Was aber wohl die meisten Wanderer am Auberg im vergangenen Jahr beschäftigt hat, soll bald schon verwunden sein: die Fällung von 160 Birken. Die Allee zwischen Eschenbruch und Voßbeckstraße sah eine Zeit lang arg zerrupft aus, weil der RVR die von Trockenheit stark angegriffenen Flachwurzler ,köpfen’ musste und nur noch die Stämme stehen ließ.
Was richtig war, denn ihre Astlöcher und Höhlen haben Meisen und Spechten als Unterschlupf gedient. Ähnlich sind solche Bäume als „stehendes Totholz“ immer wieder auf dem Auberg zu finden.
Inzwischen sind zwischen den toten Birken vitale junge Winterlinden angepflanzt worden. Denn sie kommen mit den veränderten Klimabedingungen besser klar. Noch sind sie klein – Jungbäume gehen besser an, als wenn man mittelgroße gepflanzt hätte, sagt König. Doch sie wachsen: „Jedes Jahr etwa einen halben Meter“, verspricht der Landschaftsarchitekt. Bald schon werden sie die Birkenstämme überragen, derweil bleiben diese stehen, solange sie nützlich sind.
Die alte Brauwiese „Növerhof“ steht im neuen Gewand
Ausgedient hat übrigens auch die alte Brauwiese „Növerhof“ nicht. Dort hat der RVR eine Streuobstwiese mit Apfelbäumen, Zwetschgen-, Quitten-, Kirschbäumen angelegt in einem Ensemble aus Trockenmauer, einer Eierablage für Ringelnattern, die von der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet beobachtet wird, sowie – erneut – einer Wiese aus heimischen Pflanzen.
Und wer ,betreut’ das Obst? Auch hier arbeitet der RVR lokal zusammen – mit dem Naturschutzbund Nabu, der die Früchte jedes Jahr sammelt.
Spürbar zufrieden ist der Landschaftsarchitekt mit der neuen Balance von Natur und Nutzen. Nun heißt es, auf den Frühling warten: „Sie müssen spätestens im Mai unbedingt wiederkommen“, rät König und verspricht: „Dann blüht der Auberg in den tollsten Farben.“