Gelsenkirchen. Etwa 10.000 Bulgaren und Rumänen leben in Gelsenkirchen zumeist friedlich mit ihren Nachbarn, doch allzu oft gibt es auch Probleme. Ein Dossier.

Gelsenkirchen ist eine der ärmsten Städte der Republik, objektiv weit vorne in der Arbeitslosen- und Kinderarmutsstatistik und subjektiv weit hinten in zweifelhaften Umfragen zur Lebenswertigkeit.

Gelsenkirchen – noch vor wenigen Jahrzehnten Teil des pulsierenden Industrieherzens an Emscher, Rhein und Ruhr – kämpft heute darum, nicht abgehängt zu werden. Neben den zahlreichen Herausforderungen vor denen unsere Stadt(-Gesellschaft) steht, gibt es zwischen Ückendorf und Hassel ohne jeden Zweifel aber auch so viel Beeindruckendes, Begeisterndes, Berührendes zu erleben und zu berichten. Diese „schönen Seiten“ zu unterstreichen, über Erfolge und Erfolgsgeschichten zu schreiben, Menschen vorzustellen, die diese Stadt lieben und sie deshalb so liebenswert machen, ist nicht nur Aufgabe, sondern auch Passion dieser Lokalredaktion.

Genauso leidenschaftlich fühlt die Redaktion – gerade weil ihr Gelsenkirchen etwas bedeutet – aber auch den Themen auf den Zahn, die wehtun, die kein besonders heiteres Bild von Gelsenkirchen zeichnen, die manches mal Versagen, manches mal Unvermögen und ein anderes mal Ideenlosigkeit oder Ignoranz dokumentieren.

In den vergangenen Monaten haben uns zahlreiche Leser aus vielen Stadtteilen immer wieder eingeladen, uns die Probleme zu schildern, die sie in ihrer Nachbarschaft erleiden, weil sich das Zusammenleben mit Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien nicht immer so friedlich und in gegenseitiger Rücksichtnahme gestaltet, wie es wünschenswert wäre.

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Viele Male haben wir über unzumutbare Vermüllungen, über lästigen Lärm, über das Unbehagen der Anwohner berichtet. Darüber, was die Stadtverwaltung dagegen tut - und wie endlich ihre Kapazitäten sind oder zumindest nach ihren eigenen Angaben seien. Wir haben nach Duisburg geblickt, wo die Probleme ähnlich sind, haben mit der amtierenden Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin und ihrem Amtsvorgänger geredet, haben die in der Verantwortung stehenden Parteien nach ihren Lösungsansätzen gefragt, den Kommunalen Ordnungsdienst und die Polizei in die Berichterstattung einbezogen.

Und dennoch erreichen uns weiterhin Anrufe und Mails unserer Leser, die zwar dankbar sind, dass die WAZ Gelsenkirchen sich der Themen annimmt, die die Bürgerinnen und Bürger offenbar umtreiben, die uns aber gleichzeitig auch auf die Missstände in ihrem Viertel hinweisen wollen, die sie nicht mehr ertragen.

Schwerpunktausgabe der WAZ Gelsenkirchen zur Zuwanderung aus Südosteuropa

Noch während der Arbeit an dieser Schwerpunktausgabe, die sich in mehreren Texten dem Leben und der Integration rumänischer und bulgarischer Zuwanderer in Gelsenkirchen widmet, erreichten uns weitere detaillierte Mails – etwa aus der Herzogstraße in Schalke – die ein ums andere Mal dieselben Probleme und dasselbe Verzweifeln zum Ausdruck bringen.

Ihre Lokalredaktion, liebe Leserinnen und Leser, wird auch weiterhin ein offenes Ohr dafür haben, was in den Quartieren gelingt und für das, was so nicht weiter gehen kann.

Doch anstatt immer wieder dieselben Reportagen zu schreiben, in denen man im Grunde nur den Straßennamen und den der leidgeplagten Nachbarn ändern müsste, haben wir uns in dieser Ausgabe noch einmal umfangreich und aus anderen Perspektiven mit dem Thema befasst.

Dafür haben wir mit Bulgaren und Rumänen über ihr Verhalten und die zahlreichen Beschwerden gesprochen, haben uns ihre Sicht der Dinge auf das Zusammenleben in Gelsenkirchen angehört, über „deutschen Rassismus“ und Ausbeutung auf dem Arbeiterstrich gesprochen. Wir haben mit Experten des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung über Kultur und Geschichte der EU-Zuwanderer geredet, den Vorsitzenden des Europa-Ausschusses des NRW-Landtags zur mangelnden Unterstützung für Gelsenkirchen befragt und haben rumänische Integrationslotsen und Nachbarschaftshelfern bei der Arbeit begleitet.

Die Recherche zeigt, dass die Probleme so vielfältig sind wie ihre Gründe. Manchmal sind sie offenkundig Resultat skrupelloser Ignoranz, nicht selten scheint es sich um folgenschwere Missverständnisse zu handeln, gelegentlich aber auch mangelnde Bereitschaft zur Integration - auf beiden Seiten.

Dieser Text erschien erstmals im November 2021.

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