Mülheim. Sollte der Vallourec-Konzern mit einem satten Erlös aus dem Verkauf seines Mülheimer Grundstücks gerechnet haben, so muss er nun neu kalkulieren.
Die Stadt Mülheim macht das Vorkaufsrecht für das 35 Hektar große Areal von Stahlrohrproduzent Vallourec geltend. Der Stadtrat setzte hierbei ein deutliches Signal Richtung Konzern, sich die angekündigte Stilllegung des Werkes mit 750 Mitarbeitern nicht noch versilbern zu können. Leise Hoffnung gibt es noch, das Werk womöglich doch halten zu können. Vallourec selbst sieht diese Option nicht.
Mülheim ist dabei, die Scherben zu sortieren, die die Ankündigung der Werksschließung des ehemaligen, traditionsreichen Mannesmann-Betriebes zum Ende des Jahres 2023 am kriselnden Industriestandort hinterlässt: Gar einstimmig stimmte der Stadtrat am späten Dienstag dafür, das Vorkaufsrecht für die Fläche zwischen A 40 und Fritz-Thyssen-Brücke zu ziehen.
Mülheimer Politiker: Mit den Vallourec-Werken stirbt „das letzte Stück Mannesmann“
Auch interessant
In der Sondersitzung des Stadtrates brachte SPD-Ratsherr Sven Deege es für Mülheims Politik noch einmal auf den Punkt. Mit den deutschen Röhrenwerken in Mülheim und Düsseldorf sterbe „das letzte Stück Mannesmann“. Jetzt gehe es darum, als Politik und Verwaltung das Signal zu senden, dass man alles in seiner Macht stehende tue, um für die Menschen und ihre berufliche Zukunft einzustehen, betonten auch Vertreter von CDU, Grünen und FDP.
Mit dem Ratsbeschluss will die Politik der Stadt nicht nur das Vorkaufrecht für die Industriefläche sichern, um selbst dafür Sorge tragen zu können, dass dort in Zukunft unter Ausschluss von Logistik-Betrieben viele Arbeitsplätze (ausdrücklich auch in der Industrie) angesiedelt sein werden. Der Stadtrat unterstrich zudem, dass alles daran zu setzen sei, die vor dem Aus stehenden Mitarbeiter „bestmöglich zu unterstützen“, etwa über eine Transfer- und Qualifizierungsgesellschaft, die auch NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) einfordert.
Bundeswirtschaftsminister Habeck hat sich eingeschaltet zur Vallourec-Zukunft
Im Hintergrund, so ist zu vernehmen, laufen einige Drähte heiß zwischen Mülheim und Düsseldorf, aber auch zwischen den betroffenen Städten und Landes- wie Bundesregierung. Kolportiert wird dabei unter anderem von Mülheims OB Marc Buchholz (CDU), dass das letzte Wort zum Abbau von insgesamt 2400 Arbeitsplätzen an beiden Produktionsstandorten vielleicht doch noch nicht gesprochen sei. Am Samstag hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck telefonisch das Gespräch mit den Oberbürgermeistern in Mülheim und Düsseldorf gesucht.
Auch interessant
Zu Inhalten schwieg das Habeck-Ministerium auf Anfrage. „Klar ist, dass die Geschäftsführung verantwortungsvoll und im engen Austausch mit Sozialpartnern agieren muss“, hieß es lediglich. OB Buchholz deutete indes an, dass das jüngst von der Bundesregierung beschlossene Hilfspaket für energieintensive Unternehmen ein Hebel sein könnte, noch einmal mit dem Vallourec-Management über eine Zukunftsperspektive für die deutsche Rohr-Produktion, insbesondere am aktuell gut ausgelasteten Standort Mülheim, ins Gespräch zu kommen.
100 Millionen Euro je Betrieb seien da als Unterstützungsleistung für ein einzelnes Unternehmen möglich, zeigt sich Buchholz zerknirscht darüber, dass der Vallourec-Konzern diese Option offenbar in den vergangenen Monaten nicht einmal ernsthaft geprüft habe.
Mülheims OB Buchholz hält Rettung mit Millionen vom Staat weiter für möglich
Ob Bund oder Land dem Konzern allerdings proaktiv Staatshilfen angeboten haben, ist ebenso unklar. Es ist lediglich die Rede davon, dass es Gespräche gab, in denen Vallourec-Manager den Prozess zum ursprünglich anvisierten Verkauf der Werke Ministeriumsvertretern aus Bund und Land vorgestellt haben sollen. Nun soll Vallourec laut OB Buchholz doch noch mal bereit sein, mit Bundeswirtschaftsminister Habeck Gespräche zu führen. Für den 8. Juni sei zudem eine Videokonferenz der Oberbürgermeister mit Betriebsräten und Geschäftsführung in Planung, so der OB.
Auch interessant
Mit einer Staatshilfe, so Buchholz, sei es vielleicht doch möglich, das Fortführungskonzept von IG Metall und Arbeitnehmerschaft in der Form umzusetzen, mit Millionen vom Bund jene vier, fünf Jahre zur Restrukturierung zu überbrücken, die Vallourec als weiter verlustreich und daher untragbar für den Konzern dargestellt hatte. Das Fortführungskonzept hatte vorgesehen, die Rohrproduktion in den deutschen Werken fernab des nach Brasilien abziehenden Geschäfts für Öl- und Gasfelder neu auszurichten auf die Energiewende-Segmente Wasserstoff, Geothermie, Offshore-Wind und Solar. Variante B mit Staatshilfen wäre laut Buchholz, die Betriebe doch noch an einen der drei interessierten Finanzinvestoren zu verkaufen.
Vallourec-Geschäftsführer: Staatshilfen würden nichts ändern
„Die Signale sind hoffnungsvoll“, sagte im Stadtrat Markus Püll von der CDU. Grünen-Politiker Björn Maue indes blieb skeptisch. Er zitierte die Instagram-Klage eines Vallourec-Beschäftigten, dass die Politik erst jetzt, da „das Kind schon in den Brunnen gefallen“ sei, richtig aktiv werde. Das lasse ihn nicht los, so Maue mit der Feststellung für die Kommunalpolitik: „Letztlich können wir die Entscheidung der Konzernführung nicht revidieren.“ Mülheims Stadtrat schwankte zwischen Hoffnung und Resignation. Die einhellige Meinung war aber doch, ein „starkes Signal“ für die Vallourec-Beschäftigten gesendet zu haben.
Der Personal-Geschäftsführer von Vallourec Deutschland, Herbert Schaaff, zeigte sich auf Anfrage unbeeindruckt: „Leider ist der eingeleitete Schließungsprozess unumgänglich“, sagte er mit dem Verweis darauf, dass die Werke in Düsseldorf und Mülheim „schon seit sieben Jahren defizitär arbeiten und seit 2015 Verluste von 700 Millionen Euro angehäuft haben, davon alleine in 2021 knapp 100 Millionen Euro.“ Auch die Prognosen für die kommenden Jahre gingen von weiteren starken Defiziten aus. „Daran, so Schaaff, „würden auch Staatshilfen etwa für energieintensive Betriebe nichts ändern.“
Vallourec will „faire und anständige Lösungen für die Menschen finden“
Oberstes Ziel bleibt laut Schaaff nun, „faire und anständige Lösungen für die Menschen zu finden, mit denen wir so lange zusammengearbeitet haben“. Die Gespräche mit Arbeitnehmervertretern zu einem Interessensausgleich und Sozialplan würden in Kürze beginnen. Zudem stehe Vallourec bereits im Austausch mit der Agentur für Arbeit und dem Arbeitsministerium, das seine Unterstützung zugesagt habe.
Zum gezogenen Vorkaufsrecht für das Mülheimer Vallourec-Areal sagte er: „Aus der Perspektive der Stadt Mülheim ist dies ein nachvollziehbarer und legitimer Schritt.“ Zur Zukunft der Grundstücke werde es Gespräche mit den Städten geben.