Mülheimer Siedler zeigen ihre Familiengeschichte. Lebensumstände haben Häuser und Gärten verändert. Gartenstadtcharakter soll geschützt werden.
„Das war ein toller Erfolg.“ „Ich bin begeistert, dass so viele Leute mitgekommen sind.“ „Hoffentlich hält dieser Schwung für unsere nächsten Aktivitäten an.“ Die Organisatorinnen und Organisatoren strahlen am Ende eines gelungenen Nachmittages mit zwei Führungen für Gäste und Nachbarn durch einen Teil der Saarnberg Siedlung. Alle Beteiligten haben daraus einen abwechslungsreichen Rundgang mit Einblicken in Häuser und Gärten gemacht.
Was ist vom Gartenstadtkonzept geblieben? Wie haben sich die Bewohner in und mit ihren Häusern arrangiert? Die meisten Bauten erleben in den 100 Jahren ihres Bestehens mindestens einen oder mehrere Umbauten. Dennoch sind der ursprüngliche Charakter und das Konzept der Siedlungsanlage heute noch zu erkennen.
Das bestätigt auch die Historikerin Dr. Monika Alemann-Schwartz, die vor rund zehn Jahren mit einem Vortrag über die kleine Gartenstadt auf dem Saarnberg den Anstoß für eine Aufarbeitung der Siedlungsgeschichte liefert. Sie habe den Eindruck, dass die Siedler wieder auf einem guten Weg seien, den Zusammenhalt unter den Nachbarn zu intensivieren, schildert sie kurz ihre aktuellen Eindrücke.
Rundgang in historischenKleidern
Auch interessant
Welche Inhalte ein Gartenstadtkonzept prägen, was die Architekten ab 1919 verwirklichen, untermauern zwei prominente Fachleute: Dennis Vollmer (Rundgangmoderator) stellt Sir Ebenezer Howard (Entwickler der englischen Gartenstadtkultur) und Hans Großmann (als Architekt maßgeblich am Bau der Siedlung beteiligt) vor. In historische Kleider gewandet, erläutern Gabriele Bender und Julia Vollmer unter ihren Zylindern den Interessierten zwischendurch anschaulich, wo Plätze, Hausformen, Obstbäume und Gartenstücke aus ihren Entwürfen noch erhalten sind. Der Kristallpalast, ein Gewächshaus, den Howard als Treffpunkt und Verwaltungssitz im Kern der Siedlung vorsah, wurde damals jedoch nie gebaut (sehr schade). An seiner Stelle aber ist ein öffentlicher Platz, der ursprünglich sieben Bäume hatte.
Wieviel Mühe die Bewohner hatten, ihre Häuser in Stand zu halten, schildern mehrere Siedlerinnen und Siedler. Manfred Happe hat neben seinem Haus Schautafeln aufgestellt. Er lebt dort in der vierten Generation. „1919 wurden die Grundmauern einfach neben der Grundplatte aus Beton auf das Erdreich gesetzt. Die Wände waren immer feucht.“ „Das haben wir erst nach dem Krieg geändert und mühsam isoliert“, erinnert sich auch Heinz Sarrasch an mühsame Selbsthilfeeinsätze. Viel Arbeit steckten sie auch in den großen Bauerngarten.
Auch interessant
„Von den einst elf Obstbäumen sind bei uns nur noch wenige geblieben. Der Trend weg vom Selbstversorgungsgarten hin zum pflegeleichten Freizeitgrün hat sich vor 50 Jahren durchgesetzt“, fügt hingegen Manfred Happe an. Unverzichtbar ist der Garten dennoch. Von den gemauerten Becken im Keller für die große Wäsche damals Standard – sind nur noch in einigen Häusern Fragmente erhalten. „Lange gab es nur Toiletten im Haus. Meine Großeltern haben ihre Körperwäsche in der Küche am großen Keramikbecken erledigt“, beschreibt Happe.
„In einem Haus muss man sich wohl fühlen und der Zeit angemessen leben können. Darum müssen im Innern Wände versetzt werden oder ganz fallen“, bekräftigt Ulrike Hörmann. Als es ihren Eltern nicht mehr so gut ging, wurden Bad und Schlafzimmer neben die Küche ins Erdgeschoss verlegt. „Wir haben es nach ihrem Tod wieder geändert. Die Fassadenisolierung, die mein Vater anbauen ließ, ist geblieben.“
Überhaupt die Fassaden: Die meisten zieren Bänder mit Ornamenten: Achtecke, Sterne oder Muscheln. „Das ist die einfache Kunst am Bau, die in Mülheim auch an anderen Fassaden zu finden ist“, sagt Hans Großmann. Er kennt seine Bauten in Mülheim. „Die Inspiration haben Sie sich wohl bei Ihrem Italienaufenthalt geholt“, fügt Gartenstadtexpertin Howard hinzu.
Selbstversorgung wurdeergänzt durch kleine Läden
Damit diese Baukunst erhalten bleibt, hat Karsten Hesseln selbst Formen gebaut, in denen er Abgüsse aus Beton oder Gips aushärten lässt. Das sechs Quadratmeter kleine Gartenhaus ziert eine Bauchbinde mit Ornamenten Marke Eigenguss. „Die halten mit gutem Baukleber an der Wand. Ich wollte das so stilgerecht.“ Er hofft, dass sich andere Hausbesitzer, die keine Zierleisten mehr an ihren Fassaden haben, sich von seinen Elementen inspirieren lassen. Zwei Nachbarinnen fragten nach einem Fertigungskurs.
Gegenseitige Nachbarschaftshilfe gehört vor mehr als 100 Jahren zur Gartenstadtkultur wie die Selbstversorgung mit Obst und Gemüse. Zwei Tante-Emma-Läden mit Käse und Wurst, eine Bude. Schreibwaren und Frisör sind schon lange geschlossen. Aber ältere Siedlerinnen und Siedler erinnern sich an diese Zeit der guten Nahversorgung. Heute bringt fast jeder seine Einkäufe im Kofferraum des Autos mit.
Die Gemütlichkeit der schmalen Straßen ist geblieben, wie die kurzen Wege zum Plausch mit Nachbarn. Aber die dicken Autos wollen nicht dazu passen und versperren die Sicht auf die Vorgärten, wenn sie nicht schon als Abstellplatz fürs Blech zugepflastert sind. Konzession an die bequeme, moderne Zeit. Viele der später angebauten Garagen sind zweckentfremdet, beherbergen allerlei Krempel.
Dennoch sind die Bewohner stolz auf ihre Siedlung. Die Organisatoren der Jubiläumsaktivitäten wünschen sich wieder mehr Zusammenhalt. Sie hoffen, weitere Mitstreiter zu aktivieren. „Aneinander vorbeileben ist doch langweilig. Ich verstehe manche Leute nicht, die hier im schönen Umfeld leben, sich aber nicht für den Erhalt einsetzen wollen“, bringt es eine Teilnehmerin des Rundgangs auf den Punkt. „So ein tolles Kleinod muss geschützt werden.“
Auch interessant
Sie hat gleich das Eckhaus Saarnberg/Am Bühl erkannt. „Wenn jemand das nicht mehr pflegen kann, sollte er sich die Unterstützung seiner Nachbarn holen. Nach dem Aufräumen können sich alle an dem schönen Garten erfreuen. Verfall oder gar verdichtende Neubauten darf es in dieser schönen Siedlung nicht geben“, sagt die Frau, die bisher nicht die Chance bekam, „in diese herrliche Siedlung zu ziehen“. Bei den engagierten Bewohnern fallen Lob und Warnung auf fruchtbaren Boden, auf dem die Kulturlandschaft einer Gartenstadt auf dem Saarnberg wieder gedeihen soll.
Siedlung feiert ein Jahrhundert Gartenstadt
Rund um das 100-jährige Bestehen der Siedlung auf dem Saarnberg hatten die Bewohner bereits 2020 zahlreiche Aktivitäten geplant. Corona machte ihnen einen Strich durch den Veranstaltungsplan. Dafür erscheint die Broschüre „Saarnberg Siedlung – 100 Jahre“ nun in der dritten Auflage. Die hohe Nachfrage hatte die Arbeitsgruppe Siedlungsgeschichte selbst überrascht.Nun, 22 Monate nach dem runden Siedlungsgeburtstag, bieten Anwohner als „Initiative Siedlung Saarnberg“ die geplanten Führungen durch die Gartenstadt und andere Aktionen für Nachbarn und Interessierte an. Kontakt zur Initiative Siedlung Saarnberg und Informationen wie auch Anmeldungen per E-Mail: Am-Buehl@gmx.de. Die Einsender werden dann über Termin und Uhrzeit benachrichtigt. In den kommenden Monaten öffnen etliche Siedler die Gärten ihrer Gartenstadt und laden zum Austausch bei Kaffee sowie zum Mitmachen ein. Im Oktober steigt das nachbarschaftliche 3. Bühler Apfelfest. Für Dezember ist der Bühler Weihnachtstreff angesetzt.