Mülheim. Die ersten Bewohner zogen vor 100 Jahren auf den Mülheimer Saarnberg. Heutige Straßen waren Feldwege. Initiative pflegt die Siedlergeschichte.

Ein holpriger Weg, weites Feld und am Horizont eine Siedlung. „Wo war einst der Vater mit seinem Kind unterwegs?“, fragten wir. Mehrere Leser wussten es: Auf dem Saarnberg.

Die Häuser der Siedlung stehen heute noch. Sie haben trotz mancher Umbauten ihr Erscheinungsbild nicht verloren. Fast mitten drin befindet sich das Denkmal der Wildpferde. Vor 101 Jahren wurde der Grundstein für diese Siedlung zwischen Stallmannshof und Am Bühl gelegt. Dass letztere Straße die Form eines Hufeisens bildet, ist entweder der Historie geschuldet oder eine Folge der Topographie.

Auch interessant

Die Bewohnergemeinschaft auf dem Saarnberg hat für die kommenden Monate mehrere Aktivitäten angekündigt, die das hundertjährige Bestehen dieser Siedlung würdigen.

Eine Postkarten mit acht Motiven

„Das ist die Siedlung am Saarnberg“, sagte Gerd-Wilhelm Scholl am Telefon. Der Sammler historischer Mülheimer Ansichten brachte wenig später eine Karte in die Redaktion, die gleich acht Motive aus dieser Siedlung zeigt. Abgestempelt ist sie am 28. Oktober 1933. Ob die Karte und die Fotos aus dem selben Jahr stammen oder älter sind, ist auf der Rückseite allerdings nicht vermerkt.

Das Mädchen auf dem Fahrrad, gestützt vom Vater, war in den 1920er Jahren höchstwahrscheinlich auf dem Feldweg Saarnberg unterwegs. Kenner der Ecke bestätigen das.
Das Mädchen auf dem Fahrrad, gestützt vom Vater, war in den 1920er Jahren höchstwahrscheinlich auf dem Feldweg Saarnberg unterwegs. Kenner der Ecke bestätigen das. © Dennis Vollmer

Zum alten Foto vermutet Scholl, der Vater sei mit dem Kind am Nachbarsweg unterwegs gewesen: „Ungefähr dort, wo an der Spitze des Bühls der Fußweg vom Saarner Berg hinunterführt.“ Geklärt ist das noch nicht ganz. Das Bild von damals zeigt eher flaches, unbebautes Land.

Hausstandorte mit Adressbuch ermittelt

Andreas Koch kennt diese Postkarte mit den acht Motiven ebenfalls. „Der Mann mit dem Mädchen und dem Fahrrad dürfte auf dem Saarnberg gestanden haben, in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Weg, dessen Zustand oft beklagt wurde“, schreibt der Leser zum Foto aus der Zeitung. Aufgenommen wurde das Foto in Richtung der Saarnberg-Siedlung.

Welche Häuser im Hintergrund zu sehen seien, „lässt sich mit den Adressbüchern der Stadt ermitteln. Die Häuser links von Mann und Mädchen dürften diejenigen am Anfang der Straße Am Bühl mit den Hausnummern 6 bis 28 sein, verdeckt sind die gegenüber liegenden Häuser mit den Nummern 5 bis 27 zu erkennen. Diese Häuser wurden im Jahre 1920 fertig gestellt“, erläutert Koch.

In neun Jahren wurde die Siedlung gebaut

Die freie Sicht des Fotografen auf diese Häuser sei damit zu erklären, dass die Häuser auf dem näher gelegenen Abschnitt der Straße (Hausnummern 61 bis 67 und 60 bis 68) – also nach dem Bühlbogen – erst 1926 und 1928 gebaut wurden. „Rechts von dem Mann sind die letzten Häuser am äußeren Rand des Bühlbogens zu erkennen. Diese mit den Nummern 53 bis 59 erscheinen erstmalig 1925 im Adressbuch“, hat Koch ermittelt. Danach wäre das Foto auf die Jahre 1924 oder 1925 zu datieren.

Die Saarnberg-Siedlung ließ von 1919 bis 1928 die Mülheimer Wohnstätten-Aktien-Gesellschaft errichten. Die ersten Bewohner der Häuser Auf dem Saarnberg – der Straßenname lautet erst seit 18. Januar 1946 schlicht „Saarnberg“ – und Am Bühl zogen im Oktober 1920 ein. Gegründet wurde die Mülheimer Wohnstätten-Aktien-Gesellschaft 1918 in Zeiten großer Wohnungsnot.

Gesunde und zweckmäßig eingerichtete Wohnungen

In ihrer Satzung heißt es: „Paragraf 2: Zweck der Gesellschaft ist, auf gemeinnütziger Grundlage gesunde und zweckmäßig eingerichtete Wohnungen für Beamte und Angestellte der Behörden, sowie der industriellen, Handels- und gewerblichen Unternehmungen in eigens erbauten oder angekauften Häusern zu billigen Preisen zu beschaffen.“

Ihre Erinnerungen und alten Fotos sind gefragt

Wer Erinnerungen hat oder Hinweise zu den gezeigten Bildern geben kann, schickt diese bitte an die WAZ-Lokalredaktion, Eppinghofer Straße 1-3, 45468 Mülheim Ruhr. E-Mails sind ebenfalls erwünscht an: redaktion.muelheim@waz.de

Ihre alten Fotoschätze schicken Sie per E-Mail im JPG-Format an die Redaktion oder bringen diese einfach bei uns vorbei. Ihre alten Bilder werden im Lauf der Serie in der WAZ veröffentlicht. Vielleicht können andere Leser bei der Einordnung helfen

„Federführender Architekt der Siedlung war Hans Großmann, der mit dem Architekturbüro Pfeifer und Großmann zahlreiche Bauten in Mülheim realisierte, darunter das Rathaus und die Stadthalle“, erläutert Andreas Koch. „Mit ihren großzügig parzellierten Grundstücken, das heißt mit den großen Gärten, die der Selbstversorgung der Bewohner dienten, den großen Abständen zwischen den Häusern und den Vorgärten mit den Ligusterhecken folgte die Siedlung der städtebaulichen Leitidee der Gartenstadt.“

Einen hellen Anstrich haben viele Häuser der Saarnberg-Siedlung heute. Ein Blick in die Straße Am Bühl. Neben den Vorgärten stehen inzwischen auch Autos.
Einen hellen Anstrich haben viele Häuser der Saarnberg-Siedlung heute. Ein Blick in die Straße Am Bühl. Neben den Vorgärten stehen inzwischen auch Autos. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Bewohner begeistern sich für die Geschichte

Vor knapp zwei Jahren hat sich die Initiative „Saarnberg Siedlung – damals und heute“ gegründet. Sie besteht aus rund 20 Bewohnern der Straßen Am Bühl und Stallmannshof, die sich aus Begeisterung für die historische Siedlung zusammengetan haben.

Derzeit erforschen sie die Entwicklungen der Siedlung historisch, soziologisch und kunsthistorisch. So beschäftigen sie sich etwa mit dem Wandel der Gärten, der Bedeutung der Schmuckelemente an den Fassaden, dem Wandel der Häuser, die den veränderten Ansprüchen des Wohnens geschuldet sind, sowie der ursprünglichen Infrastruktur aus Geschäften, die im Laufe der Jahrzehnte zum Teil verschwunden sind.