Brüssel. . Quer durch Europa formiert sich der Widerstand gegen das Raubkopie-Abkommen “ACTA“. An diesem Samstag planen Internet-Aktivisten auch in Deutschland Demonstration. Sie protestieren für die Freiheit im Internet und gegen das Verbot von Produkt- und Markenpiraterie im Internet.
Die Netzgemeinde schätzt das drastische Wort. Zum Beispiel “Shitstorm” - eine organisierte, massenhafte Empörung. Damit ist zu rechnen, wenn die Verteidiger der Freiheit im Internet am kommenden Samstag quer durch Europa auf die Straße gehen. Ihr Gegner heißt ACTA. Das ist die englische Abkürzung für das geplante internationale “Handelsabkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie”. Aus Sicht der Verfasser ein überfälliges Instrument, um Produktfälschern und Raubkopierern das Handwerk zu legen. Für die Aktivisten der Netzgemeinde der Versuch, die Netz-Freiheit mit dem juristischen Vorschlaghammer zu zertrümmern.
Die Wut entzündet sich zum einen an der Entstehunggeschichte des Vertrags, den die Brüsseler Kommission im Auftrag der EU-Regierungen mit zehn Staaten, darunter die USA, Japan und die Schweiz, ausgehandelt hat. Und zwar, wie die Kritiker monieren, hinter verschlossenen Türen, in einem vierjährigen Geheimverfahren ohne anständige Beteiligung vieler Betroffener. Proteste gab es dennoch. Der Text wurde an einigen Stellen entschärft. So ist zum Beispiel von Netzsperren, wie sie die USA wünschten, nicht mehr die Rede.
Deutschland hat ACTA-Abkommen noch nicht unterzeichnet
Die endgültige Fassung wurde am 26. Januar in Tokio unterzeichnet, wobei von den 27 EU-Ländern fünf die Unterschrift noch nicht geleistet haben, darunter die Bundesrepublik. Der Grund seien aber rein formale – rechtliche oder terminliche – Hindernisse, sagt der zuständige EU-Kommissar Karel De Gucht. Deutschland und die anderen vier würden ihre Unterschrift in Kürze nachholen. Im übrigen sei die ganze Prozedur keineswegs intransparent, sondern nach den üblichen Spielregeln verlaufen.
Das Ergebnis ist aus Sicht der Kritiker in jedem Fall inakzeptabel. Der Europa-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht von den Grünen findet schon die Vermengung von Urheber- und Markenschutz unmöglich. Das seien zwei ganz unterschiedliche Problemfelder. Bei der Abwägung von Bürger- und Nutzer-Rechten gegen die Interessen der kommerziellen Produzenten und Rechte-Inhaber sei die Balance völlig verloren gegangen. “Das hat Schlagseite und zielt auf Repression!”
EU-Handelskommissar sieht Protest als "mutwillige Fehlinterpretation"
Massive Vorbehalte hat auch eine Gruppe von Urheberrechtlern in einem Gutachten geltend gemacht. Das Abkommen gebe Anlass zu “ernsten Sorgen bezüglich der Grundrechte, des Datenschutzes und eines fairen Interessenauslgleichs”, heißt es in der Expertise, der sich Fachleute aus zahlreichen EU-Staaten angeschlossen haben. Und in den Internet-Foren tobt der Shitstorm.
Autoren und ACTA-Mitbeteiligte sind ob des Furors verdattert. Ein Fall von “Fehlinformation oder, schlimmer noch, mutwilliger Fehlinterpretation des Inhalts des Abkommens”, mutmaßt Handelskommissar De Gucht in einem Brief an den Handelsausschuss des EU-Parlaments. Der Vertrag ändere nämlich nichts an bestehendem EU-Recht. Bundes-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger pflichtet bei: Auch in Deutschland bleibe alles beim alten.
Polen und Tschechien haben Ratifizierung vorerst gestoppt
Im EU-Parlament, ohne dessen Zustimmung der Vertrag nicht in Kraft treten kann, gehen die Meinungen auseinander. Grüne und Linke sind gegen ACTA, die Christdemokraten dafür, Sozialdemokraten und Liberale wissen noch nicht so recht, der zuständige Gutachter (Berichterstatter) David Martin, ein Sozialdemokrat, hält sich bedeckt.
Unterdessen bröckelt es schon kräftig an an der Peripherie. Nach Polen hat auch Tschechien angesichts des breiten Widerstands die Ratifizierung erst einmal angehalten. “Wir brauchen die Ratifizierung in allen 27 Mitgliedsstaaten”, sorgt sich De Guchts Sprecher. ACTA-Gegner Albrecht hingegen freut sich: “Ich war nicht optimistisch, aber jetzt bin ich guten Mutes - die Aufmerksamkeit ist da!”
Informationen zu Anti-Acta-Aktionen finden sich unter anderem hier.