Hagen. . Inge Stolzmann wird künftig keine tiefgefrorenen Kabeljau-Filets bei Aldi mehr kaufen. Sie beklagt, dass nach dem Auftauen sehr viel Wasser aus den 6,99 Euro teuren Filets tropft. Ist das eigentlich eine Produkttäuschung oder ein völlig normaler Vorgang, der sich nicht verhindern lässt?
Inge Stolzmann aus Hagen ist eine „sehr zufriedene“ Aldi-Kundin – eigentlich. Regelmäßig besucht die pensionierte Postbeamtin die Schwelmer Filiale der Discountkette. Die tiefgefrorenen Kabeljau-Filets für 6,99 Euro pro Kilogramm haben ihren Einkaufsspaß jedoch zuletzt stark getrübt.
Stolzmann (Jg. 1944) erlebte eine klassische Produktenttäuschung. Sie beschreibt den Fall so: „Nach dem Auftauen der Fisch-Filets sammelte sich ein halber Liter Wasser in der Tüte.“ Manchmal sogar mehr – das habe sie mittels eines Messbechers festgestellt. Und drücke man den Kabeljau, fließe weitere Flüssigkeit heraus. „Für den angeblichen Kilopreis von 6,99 Euro bekomme ich tatsächlich nur ein Pfund Fisch“, so Stolzmann.
Verbraucherschützer verweisen auf die Fertigpackungsverordnung
Kann das sein? Hören sie solche Geschichten, argwöhnen viele Verbraucher, der Fisch werde künstlich mit Wasser oder Chemikalien aufgepumpt, damit er mehr wiegt und mehr Gewinn bringt. Bei Fleisch gab es solche Skandale auch schon. Müssen Aldi und die Herstellerfirma nicht wenigstens auf der Verkaufspackung genaue Angaben machen, wie viel der Kabeljau vor und nach dem Auftauen wiegt?
Die Verbraucherzentrale NRW in Düsseldorf verweist auf die sogenannte Fertigpackungsverordnung. Bundesweit ist darin geregelt, in welchen Fällen Lebensmittelhersteller zwischen dem Gewicht der Ware beim Verkauf und dem „Abtropfgewicht“ unterscheiden müssen. Deutlich heißt im Text, dass die Regelung auch für „gefrorene“ und „tiefgefrorene“ Nahrungsmittel gelte, sofern sie in einer „Aufgussflüssigkeit“ verkauft würden.
Genau das treffe hier aber nicht zu, sagt die Firma Clama aus Mülheim an der Ruhr, die die „Pazifischen Kabeljaufilets“ der Marke Golden Seafood an Aldi liefert, über die Inge Stolzmann sich beschwert. Erstens würde der Tiefkühlfisch nicht in Wasser oder eine andere Flüssigkeit eingelegt, sondern quasi trocken eingefroren, erläutert Clama-Geschäftsführer Martin Hofstede. Deshalb sei es nicht notwendig, zwischen Füllmenge und Abtropfgewicht zu differenzieren.
Zweitens, so Hofstede, werde den „Lieferanten die Zugabe von wasserbindenden Substanzen vertraglich untersagt“. Der Verdacht, das Gewicht der Kabeljaufilets werde künstlich vergrößert, sei damit gegenstandslos. Um beide Argumente zu belegen, präsentiert Clama ein aktuelles Gutachten des Lebensmittelanalyse-Instituts Nehring aus Braunschweig. Außerdem erklärt der Geschäftsführer, dass der umstrittene Kabeljau aus dem Nordpazifik bei Alaska stamme, wo er auf relativ umweltschonende Art gefangen werde.
Abtropfgewicht muss nicht immer angegeben werden
Wie aber ist diese Stellungnahme mit den Erfahrungen in Einklang zu bringen, die Aldi-Kundin Stolzmann beschreibt? Eine grundsätzliche Erklärung versucht Peter Richter. Er leitet die Lebensmittelüberwachung des Ennepe-Ruhr-Kreises, die für den Aldi-Supermarkt in Schwelm zuständig ist. „Bei vakuum- oder trocken verpacktem Tiefkühlfisch brauchen die Hersteller das Abtropfgewicht nicht anzugeben – schließlich ist die Ware nicht von einer Flüssigkeit umgeben“, erläutert Richter. „Beim Auftauen kann es allerdings passieren, dass die Eiskristalle das Gewebe des Fisches zerschneiden und deshalb viel Flüssigkeit austritt. Denn Fisch hat die Besonderheit, dass das Gewebe sehr viel Wasser enthält.“
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Diese Eigenschaft beschreibt auch das Analyse-Institut Nehring in seiner Stellungnahme für Clama. „Fettarme Seefische wie Seelachs oder Kabeljau haben einen natürlichen Wassergehalt von etwa 80 Prozent. Das Wasser ist vor allem in den Zellen des Muskelgewebes eingeschlossen.“ Damit nun die Verbraucher nicht regelmäßig den Effekt auslösen, der Aldi-Kundin Stolzmann verunsichert, gibt der Hersteller auf der Kabeljau-Packung diesen Hinweis: „Filets kurz antauen“. Dann bleibe das Wasser während der Zubereitung im zunächst noch teilweise gefrorenen Fisch gebunden. Nur beim vollständigen Auftauen hingegen sammele es sich in der Verpackung.
Auf den Kabeljau wird sie vorerst verzichten
Diese Erklärung bringt Inge Stolzmann ins Nachdenken. Vollständig überzeugen kann sie sie aber nicht. Auf den Kabeljau wird sie vorerst verzichten und lieber eine andere Sorte Tiefkühlfisch ausprobieren. Eine weitere Möglichkeit bestünde darin, dass sie eine Verbraucherbeschwerde bei der zuständigen Lebensmittelaufsicht in Schwelm einreicht. Amtsleite r Richter und sein Team würden den Fall dann ganz offiziell untersuchen – und vermutlich klären.
Zertifikat und Ratgeber
Das Zertifikat der Organisation „Marine Stewardship Council“ (MSC) auf Verpackungen von Speisefisch zeigt, dass der Inhalt mit relativ umweltfreundlichen Methoden gefangen wurde. Auch am MSC gibt es Kritik – doch der Ansatz stellt immerhin einen Fortschritt gegenüber der Raubbaufischerei dar. (www.msc.org)
Wer verantwortungsvoll beim Fischkauf vorgehen will, kann den Fisch-Ratgeber von Greenpeace lesen.