Berlin. In der Ukraine mehren sich die Zeichen für Verhandlungen. Bei „Maybrit Illner“ war zu hören, was dazu ein Berater des Präsidenten sagt.
Die Zeichen in Putins Krieg sind in diesen Tagen besonders schwer zu lesen. Während Russland im Donbas vorrückt, hält die Ukraine weiterhin Teile von Kursk. Zugleich stellt ihr Präsident Wolodymyr Selenskyj einen „Siegesplan“ in Aussicht, der die Tür zu Verhandlungen öffnen könnte. Beginnt so am Ende gar der Anfang vom Endes Krieges?
Diese Frage trieb am Donnerstagabend auch die Runde bei „Maybrit Illner“ um. „Ukraine will Sieg und Frieden – was will der Westen?“, war der ZDF-Talk überschrieben. Es diskutierten:
- Mychaijlo Podoljak, ukrainische Präsidentenberater
- Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Wehrexpertin
- Gregor Gysi, Linken-Abgeordneter
- Wolfgang Ischinger, früherer Top-Diplomat
- Frank Sauer, Politikwissenschaftler
- Sabine Adler, Journalistin
Russland angreifen, um es an den Verhandlungstisch zu zwingen
Welches Kalkül verfolgt Selenskyj? Mychaijlo Podoljak deutete das für den „Siegesplan“ zumindest an. Ein wichtiger Aspekt ist demnach, dass die Ukraine künftig mit westlichen Waffen tief ins russische Territorium schießen will. Noch ist das aufgrund von auferlegten Beschränkungen der westlichen Lieferanten nicht möglich. Es gehe darum, systematisch militärische Ziele zu treffen, allen voran die russische Luftwaffe, so Podoljak.
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Das könnte Einfluss auf die Front haben. Doch die Erwägungen reichen weiter: „Man kann Russland nicht bitten, zu verhandeln, sondern nur dazu zwingen, indem der Preis des Krieges zu hoch ist“, erklärte Podoljak weiter. Wenn die Ukraine regelmäßig Ziele in Russland angreifen könne, werde das die Menschen gegen das System aufbringen.
Selenskyj wird also wohl versuchen, US-Präsident Joe Biden davon zu überzeugen, die Beschränkungen für Waffen aufzuheben. „Die Erwartungen an das Treffen sind riesengroß“, sagte dazu Wolfgang Ischinger, einst Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz. Vielleicht aus gutem Grund: Selenskyj hoffe darauf, dass Biden kurz vor seinem Abtritt noch Großes bewegen wolle, sagte die Journalistin Sabine Adler.
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Gysi ist nicht überzeugt
Bei Gregor Gysi stieß dieser Plan auf Skepsis. „Woher kommt denn die Illusion, dass sich die Menschen gegen Putin wenden werden?“, fragte der frühere Chef der Linken. Denkbar sei doch auch, dass sie sich im Gegenteil hinter ihm versammeln. Und überhaupt: „Vielleicht sollten wir nicht immer an Eskalation denken, sondern an Deeskalation.“
Auch gegen die Strategie des Westens stellte sich Gysi. Seit Kriegsbeginn werde ihm erzählt, dass man nur mehr Waffen liefern müsse, um Wladimir Putin zu stoppen. Nun zeige sich, dass das nicht funktioniere. „Warum können wir nicht ernsthaft über einen Waffenstillstand und Frieden sprechen?“
So ist die aktuelle militärische Lage
So plausibel Gysis Gedanken klangen, bislang scheint Putin gar kein Interesse an solchen Gesprächen zu haben. „Wir sind sehr weit von Frieden entfernt“, sagte Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr. Beide Seiten versprächen sich noch immer mehr von fortgesetzten Gefechten als von Waffenstillstandsverhandlungen.
Die militärische Lage schätzte Sauer so ein: Russland komme langsam, aber stetig im Donbas voran – „unter erheblichen Verlusten“. Die Ukraine habe mit der Offensive in Kursk einen „durchwachsenen“ Erfolgt erzielt, sich aber möglicherweise ein politisches Verhandlungspfand geschaffen. „Die Ukraine schießt auf militärische Hardware – Putin auf ukrainische Zivilisten“, fasste Sauer die Unterschiede in der Kriegsführung zusammen.
Das Fazit
Diese Ausgabe von „Maybrit Illner“ war erhellend, weil die Runde in der Tiefe diskutierte, welche Strategien die Kriegsparteien derzeit verfolgen. Dabei wurde klar, dass in den kommenden Monaten durchaus Bewegung in die Angelegenheit kommen könnte.
Ein entscheidendes Datum dürfte dabei die Nacht auf den 6. November sein. Nach der Wahl in den USA sollte feststehen, ob Kamala Harris oder Donald Trump ins Weiße Haus ziehen werden. Während Harris den Kurs ihres Vorgängers wohl fortsetzen würde, hat Trump angekündigt, binnen kürzester Zeit einen Frieden herbeiführen zu wollen.
Nur, zu welchem Preis? „Das würde auf Kosten der Ukraine geschehen“, sagte Frank Sauer. Und gab zu bedenken, dass Putin in diesem Fall die Vorlage für einen weiteren Krieg geschaffen hätte.