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Das war wirklich unerhört. Eine Band, die gar keine ist, die sich teutonisch „Kraftwerk“ nennt, lakonisch-knappe Texte auf Deutsch verfasst – und damit von Düsseldorf aus die USA und Großbritannien erobert. Eine Band, die schließlich von der New York Times als „die Beatles der elektronischen Tanzmusik“ gefeiert wird (1997).

Der Moment, als Ralf Hütter und Florian Schneider im November 1974 ihr Album „Autobahn“ herausbringen, ist von Mythen umrankt. Viele sehen darin die Geburtsstunde von Genres wie Techno und Synthie-Pop. Jedenfalls schafft es das Konzeptalbum weltweit locker in die Top 10 (Platz 4 in den USA, Platz 5 in GB, Platz 7 in D). Die von 22:41 Minuten auf radiokompatible drei Minuten gekürzte Single springt in die Hitparaden in London und New York. Auch wenn die Amis „The Fun, Fun, Fun of the Autobahn“ verstehen statt „Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn“.

Es ist der Beginn eines Mythos, der bis heute hält und den Hütter und Schneider kunstvoll am Leben halten. Im Grunde haben Kraftwerk schon vor 30 Jahren aufgehört, wirklich neue Platten aufzunehmen (auch wenn 1986 mit „Electric Café“ und 2003 mit „Tour de France“ noch einmal zwei Studioalben kamen).

Im Grunde verwalten sie das Erbe von fünf legendären Elektropop-Alben, angefangen von „Autobahn“ (1974) über „Radioaktivität“ (1975), „Trans Europa Express“ (1977), „Die Mensch-Maschine“ (1978) und „Computerwelt“ (1981) mit diversen Remixplatten, Wiederveröffentlichungen in Boxform und als Remaster sowie Live-Touren, auf denen sie schon mal gerne Roboter spielen lassen.

Jedes Jahr tauchen neue Künstler auf, die Kraftwerk als Inspiration für ihre Arbeit nennen: Ob Synthie-Legenden wie Depeche Mode, OMD oder New Order, ob DJs wie Moby oder Jeff Mills – sie alle sehen Kraftwerk als Vorbild.

Synthesizer waren verpönt

Aber zurück zu den Anfängen: Hütter und Schneider treffen sich 1968 im Studium an der Akademie Remscheid, sie gründen die „Organisation“, die sie später in Kraftwerk umbenennen. 1970 richten sie ihr „Kling Klang“-Studio ein, um als „Musikarbeiter“ (Zitat Hütter) tätig zu sein. Zunächst arbeiten die beiden mit klassischen Instrumenten, aber mehr und mehr konzentrieren sie sich auf elektronische Klangerzeugung.

Synthesizer, man muss es sich ins Gedächtnis rufen, galten damals als Teufelszeug: Gitarre war warm, menschlich und links – Synthesizer galten als kalt, inhuman und rechts. Die Musikergewerkschaft in England wollte den Einsatz von Synthesizern reglementieren, weil sie fürchtete, sie würden Arbeitsplätze vernichten.

Kraftwerk setzten seit 1974 konsequent auf Elektronik. Und wurden für ihr Beharrungsvermögen und ihren künstlerischen Anspruch belohnt. Nachdem sie jahrelang Angst davor hatten, setzten sie auf „Autobahn“ erstmals ihre Stimmen und Texte ein. Texte, die stets minimalistisch blieben und die prophetisch waren – mehr Poesie als Songtext.

Hütter und Schneider bauen sich viele ihrer Instrumente selbst (später schmeißen ihnen die Firmen Synthies und anderes hinterher) und experimentieren mit elektronischer Stimmerzeugung. Ihr Studio liegt in einem Industriegebiet, ihre Musik soll die Umgebung widerspiegeln: Sie nennen sie ein wenig ironisch „industrielle Volksmusik“ und „Heimatmusik aus dem Rhein-Ruhr-Bereich“.

Die Urahnen der elektronischen Pop-Musik

Atomkraftwerke, Hochgeschwindkeitszüge, Roboter oder der Computer als allgegenwärtiger Begleiter des menschlichen Alltags – Kraftwerk waren auch thematisch Visionäre. In „Computerliebe“ geht es schon 1981 um Internet-Dating, aber „Computerwelt“ ahnt nicht die Bedeutung, die die kleinen Kisten für den Menschen des Jahres 2011 haben werden.

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Von DerWesten

Bei „Radioaktivität“ mussten die Kraftwerker textlich nachbessern: Lange vor Fukushima wurde aus dem fortschrittsgläubigen „Radioaktivität – wenn’s um unsere Zukunft geht“ ein kämpferisches „Stoppt Radioaktivität – weil’s um unsere Zukunft geht“.

Als in den 80er Jahren Synthie-Pop der Sound der Stunde war, in den 90ern elektronische Musik von House bis Techno die Welt eroberte – da wurden die Kraftwerker als Urahnen der elektronischen Pop-Musik gefeiert. Kraftwerk war Kultur. Und sogar politikfähig: 1999 bekamen sie den Auftrag, einen Jingle zur Weltausstellung in Hannover aufzunehmen. Vier Sekunden wurden mit satten 400.000 Mark honoriert.

Eine Band war Kraftwerk nie, es waren stets die beiden Masterminds Ralf Hütter und Florian Schneider. Der aber steigt 2008 nach einer Tour aus. Zwischenzeitlich waren Wolfgang Flür und Karl Bartos jeweils 15 Jahre mit von der Partie, heute helfen Hütter zwei Audio- und ein Video-Operator, das Erbe von Kraftwerk adäquat zu verwalten.

Sogar eine Kraftwerk-iPhone-App gibt es – man hätte es sich denken können. Aber das Gesamtkunstwerk Kraftwerk lässt sich auch kostenlos im Internet genießen: Auf der Seite Kraftwerk.com können Sie sich (am besten unter der Rubrik „Video“) jede Menge Songs anhören und angucken.

Viel Spaß dabei!

Die Charts

Abba gewinnt den „Grand Prix d’Eurovision“ mit dem Titel „Waterloo“. Die Nachfolgesingle „Honey Honey“ hält sich länger in den deutschen Charts als der Siegertitel.

1974 kommt die Discowelle ins Rollen. George McCraes Welthit „Rock Your Baby“ hat mit Rock nichts zu tun, aber mit Groove und Tanzbarkeit. Dies sind auch die Zutaten von Carl Douglas’ „Kung Fu Fighting“, der auf keinem 70er -Jahre-Sampler fehlen darf.

1. George McCrae - Rock Your Baby

2. The Rubettes - Sugar Baby Love

3. Terry Jacks - Seasons In The Sun

4. Abba - Honey Honey

5. Abba - Waterloo

6. Vicky Leandros - Theo, wir fahr’n nach...

7. Sweet - Teenage Rampage

8. Dan The Banjoman - Dan The Banjoman

9. Carl Douglas - Kung Fu Fighting

10. Sweet - The Sixteens

(Quelle: chartsurfer.de)