Köln. . Der 45-jährige Jo Lendle übernimmt 2014 den renommierten Hanser-Verlag. Im Gespräch spricht der Verleger, der selbst auch Autor ist, über die Zukunft des Büchermachens und -schreibens.
Die Zukunft der Buchbranche ist 45 Jahre alt, ist Autor, Blogger – und Verleger. Jo Lendle, zuvor Chef von Dumont, wird ab 2014 die Leitung des Hanser-Verlags übernehmen und damit den neben Suhrkamp wichtigsten deutschen Literaturverlag: Ein lässig alle Grenzen überschreitender Hoffnungsträger für eine Branche im Wandel. Mit Britta Heidemann sprach Jo Lendle über digitale Herausforderungen und Chanden.
Herr Lendle, wie geht es der Buchbranche?
Jo Lendle: Was wir seit geraumer Zeit mit Sorge sehen, ist der Rückzug der eben noch durch Verdrängung wachsenden Filialisten aus den Städten. In den Nischen gedeihen erfreulicherweise interessante Neugründungen, diese werden die Flächenreduktion aber nicht kompensieren können. Amazon gewinnt weiter hinzu, ist aber auch nicht unirritierbar. Die Leute merken langsam, dass viele Buchhändler auch online einen ähnlichen Service bieten. Womit man sich zugleich seinen Händler vor Ort bewahrt.
Was glauben Sie – wie muss man heute Bücher machen?
Lendle: Die Arbeit der Verlage hat sich im Kern nicht groß verändert, auch wenn wir ständig über die augenfälligen äußerlichen Veränderungen wie die Digitalisierung reden. Autoren zu finden, mit Autoren an ihrem Erzählen, ihrer Sprache zu arbeiten, ihre Werke aufzubauen und zu begleiten – das ist das, wofür Verlage stehen und was Verlage können.
Dann erst folgen die anderen schönen und notwendigen Dinge: Welche Gestalt bekommt das Buch, welche Ausstattung, wie bringen wir das in eine angemessene, gut in der Hand liegende Form. Oder wir entwickeln eine halbwegs funktionale Datei für den Reader. Dies aber sind schon die Folgeschritte, am Anfang, im Zentrum stehen der Autor und sein Text.
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Trotzdem stehen die digitalen Möglichkeiten derzeit im Fokus – und auch die Frage, ob sie vielleicht neue Formen von Literatur hervorbringen könnte?
Lendle: Das kann sein, auch wenn wir jetzt schon eine ganze Weile darauf warten - ich habe schon vor 30 Jahren an der Uni Hypertext-Literatur hoch und runter studiert. Sicher nimmt das jetzt noch mal neuen Schwung. Und dann werden eines Tages auch Literaturen und Erzählweisen entstehen, die wirklich ihre ureigenen Vermittlungsformen in der digitalen Welt haben und in einem Buch gar nicht mehr abbildbar sind. Ich bin da durchaus neugierig.
Sie haben eine eigene Internetseite und schreiben selbst einen Blog – sind Blogs vielleicht schon eine solche neue Form von Literatur?
Lendle: Mal ganz abgesehen vom genannten Beispiel glaube ich durchaus, dass diese Kanäle Formen von Literatur hervorbringen können. Sie zwingen uns, kleine Alltagsbeobachtungen zu konzentrieren. Im unglücklichen Fall sind das sehr labbrige Gebilde. Im glücklichen Fall nehmen sie Traditionen auf, die vor 200 Jahren mit den Kalendergeschichten eines Johann Peter Hebel begonnen haben. Das ist eine neue Form der Weltwahrnehmung, die kurioserweise plötzlich wieder Elemente wie den Flaneur ins Spiel bringt, der herumläuft und Eindrücke seines Herumlaufens verlautbart.
Vor hundert Jahren wurden Bücher veröffentlicht, die aus Mosaiken einer zersplitternden Weltwahrnehmung bestanden. Das wollte man aber dann in Buchform irgendwann nicht mehr lesen, weil es zu expressionistisch schien. Und plötzlich, in einer Folge von Häppchen, liest man solche Stücke wieder, ohne ein Bewusstsein dafür zu haben, dass es Literatur ist.
Was bedeuten diese Entwicklungen für das Verhältnis von Autor und Verlag?
Lendle: Zum einen stellt sich die Frage: Will man die Autoren stärker einbinden, weil sie auf ihren Kanälen auch Lautsprecherfunktion haben? Heute sind ja die Autoren oft die viel gewitzteren und regeren Multiplikatoren ihrer selbst – was teilweise ein bisschen an die Kante gerät, wenn die Leute irgendwann nur noch Marketingsprecher werden, das heißt, ihre literarischen Arbeiten dafür zurückstellen…Im Idealfall aber erhalten plötzlich, durch die Hintertür, die Autorenpersönlichkeiten wieder ein Format. Zwischendurch hatte man das Gefühl, alle sind irgendwie gleich und austauschbar, es gibt keine kantigen Typen mehr. Jetzt offenbaren Schriftsteller-Blogs die Lebenswahrnehmung eines schreibenden Menschen, durchaus in dem Bewusstsein, dass sie da eine künstliche Welt schaffen.
Und zum anderen? Was ist die Kehrseite?
Lendle: Die Verlage beginnen zu verstehen, dass die Autoren im Zweifelsfall auch anders können, weil Verlage nicht mehr unabdingbar nötig sind, um sich Öffentlichkeit zu verschaffen.
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Müssen die Verlage ihre Autoren anders pflegen als bisher?
Lendle: Das allermeiste bleibt gleich: die Arbeit am Text, die Begleitung des Werks, das hat den größten Anteil im Alltag des Verhältnisses von Verlag und Autor. Alle gucken jetzt nur auf die Veränderungen, weil da mehr zu erzählen ist. Es gibt sicher Einzelfälle, in denen das Self-Publishing zu Ruhm geführt hat. Aber es ist kein Zufall, dass diese Autoren dann doch wieder ins traditionelle, papierene Buch gehen - und da dann womöglich noch einmal riesige Erfolge haben. Weil Bücher immer häufiger bestehende Aufmerksamkeit verkaufen.
In den USA tritt Amazon bereits als Verleger auf, auch in Europa könnte es bald soweit sein – und die Gewinnbeteiligungen für die Autoren sind dort höher als bei den etablierten Verlagen.
Lendle: Amazon gibt seinen Autoren einen relativ höheren Anteil am E-Book-Erlös – aber einen höheren Anteil von welchen Verkäufen zu welchem Preis, und was tun sie dafür? Amazon wird, wenn sie jetzt tatsächlich in dieses Verleger-Geschäft einsteigen, bald merken, dass Verleger-Sein etwas anderes ist als Daten online zu stellen. Und für manche Autoren mag es verführerisch sein, einen direkten und schlanken Zugang zu haben, aber die Unterstützung wird ihnen irgendwann fehlen, die Akzentuierung, das Anstoßen, der Hallraum – wenn sie merken, es wird nicht lektoriert, nicht gestaltet und begleitet und nach außen getragen.
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Es gibt ja Verlage die – wie Lübbe – eigene Buchläden eröffnen oder – wie Droemer – eigene Self-Publishing-Plattformen bieten. Plant Hanser Ähnliches?
Lendle: Läden sicherlich nicht. Ich habe kürzlich mal einen Tag in einem Buchladen gearbeitet, und es hat mir riesigen Spaß gemacht, so nah an den Lesern zu sein. Aber es gibt zu viele gute Buchhändler, da müssen wir nicht auch noch reingrätschen. Die Ideen, im Bereich Self-Publishing etwas zu machen, finde ich nicht uninteressant, zum Beispiel für diese literarischen Formate, die das traditionelle Buch gar nicht mehr abbilden kann – dafür eine Plattform zu schaffen, die auf einem guten Niveau etwa journalistische Formen, Zwischenformen der Literatur ermöglicht, das fände ich interessant.
Wie sehen Sie die Entwicklungen bei der Konkurrenz – das große Hickhack um Suhrkamp?
Lendle: Suhrkamp ist eine Größe, die für das literarische Gespräch äußerst wichtig ist. Man kann nur hoffen, dass sie sich irgendwie zusammenraufen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass das nicht zu machen sein soll. Wobei ich zugebe, dass es Momente gibt, in denen mir diese Sicherheit ein wenig entgleitet, das ist schon ein extrem irritierendes Schauspiel.
Gibt es eigentlich noch Bücher, die Sie nur zum Spaß lesen?
Lendle: Die gibt es auf jeden Fall – in den Urlaub nehme ich mir immer auch Bücher vergangener Zeiten mit, bei denen ich zumindest weiß: Die Autoren sind tot und es steht nicht mehr zur Disposition, mit denen noch neue Pläne auszuhecken. Wobei: Hanser ist ja sehr erfolgreich darin, Klassiker wiederzuentdecken … (lacht)
Ich habe mich früher sehr für Sterne interessiert, da kam auch oft die Frage, ob es nicht den Zauber raubt, wenn man immer schon weiß, in welcher Konstellation jeder Stern steht und wie er heißt und von welcher Art er ist und so weiter. Ich habe das immer abgestritten – aber ein bisschen etwas ist doch dran. Und so hat auch das Lesen nicht immer die Naivität und Schutzlosigkeit, die manchmal wünschenswert wäre.
Damals bei den Sternen habe ich geantwortet: Dafür schaue ich häufiger hoch – und bin trotz allem immer wieder überwältigt, sonst hätte ich mir längst eine andere Beschäftigung gesucht.
Ihr aktueller Roman, „Was wir Liebe nennen“, erzählt von einer wunderbaren Liebesaffäre – und am Ende ziehen Sie sich als Autor aus der Affäre, indem Sie Ihren Protagonisten verdoppeln. Ich habe mich da ein bisschen veräppelt gefühlt…
Lendle: Oje, ehrlich? Erzählen Sie mal! (lacht) Ich schreibe Literatur immer auch für die Möglichkeiten, die man im Erzählen hat. Die Versprechen, die nur die Literatur erfüllt. Einen solchen Dreh haben am Ende alle meine Bücher. Einige Romane betten das in eine Situation, die mit unserer Vorstellung von der Wirklichkeit in Deckung zu bringen ist. Und andere nehmen sich die Freiheit des Fabulierens.
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Werden Sie als Hanser-Verleger nun andere Romane schreiben? Seriöser, staatstragender?
Lendle: Hoffentlich nicht. Es wäre fatal, wenn die Literatur sich darauf beschränkte, Erwartungen zu erfüllen, Rollen zu bekräftigen.
Sie besetzen ja, wie ihr Protagonist im Roman, als Schriftsteller und Verleger eine Doppelrolle – ist das nicht schwierig?
Lendle: Bei Dumont habe ich immer noch versucht, diese beiden Rollen – Schriftsteller und Verleger – zu trennen. Mein Vorgänger bei Hanser hat beides so sehr in eins gebracht, dass ich jetzt vielleicht den Versuch aufgeben kann, stets zu wissen, welches Hütchen ich gerade aufhabe.
Würden Sie als Verleger eigentlich Ihre eigenen Bücher annehmen?
Lendle: Das lässt sich kaum beantworten. Ich habe vor vielen Jahren einmal versucht, mich selbst zu überlisten, und mir ein Manuskript geschickt, um zu sehen, wie sich das am Verlagsschreibtisch liest … aber es gibt keine sekundäre Unvoreingenommenheit. Dafür hat man ja andere Verlage.