Essen.. Er vermarktet Bücher, verlegt sie und tritt zugleich als Autor von Rang in Erscheinung. Jo Lendles neuer Roman erzählt vom Zauber der Liebe - mit Witz und Raffinesse - und einer Paläobiologin mit Hang zum Przewalski-Pferd als ein der Hauptfiguren.

Was passiert, wenn man die große Liebe seines Lebens trifft, obwohl man sie schon getroffen hat? „Was Lambert jetzt brauchte, war ein Trick“, heißt es einmal in diesem Liebesroman, der so viel Ähnlichkeit mit einem verrückten Traum hat: Aber Lambert, der seinen Lebensunterhalt mit Zauberkunststücken verdient, steht derlei höherer Magie sprachlos gegenüber.

Also muss sein Schöpfer, der künftige Hanser-Verleger Jo Lendle, mit einem Griff in die literarische Trickkiste eingreifen. Er tut es mit melancholischem Witz, sprachlicher Raffinesse und erzählerischem Wagemut – ein Buch zum Verlieben (auch wenn man schon eins hat).

Verlieben statt Zauberkongress

Auf einer Reise zu einem Zaubererkongress in Kanada begegnet Lanbert Fe: einer Paläobiologin, die sich ganz der Auswilderung des vom Aussterben bedrohten Przewalski-Pferdes verschrieben hat. Die Liebe beginnt, wie die Liebe eben so mit schicksalhaftem Zufall.

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Fe fährt Lambert mit ihrem Pferdeanhänger beinahe über den Haufen. Aber ist das nun romantischer als der Beginn von Lamberts Beziehung zu Andrea – die als Kirchenrestauratorin unter dem Dach einer Kapelle hing, in der der einsame Wanderer Lambert vor Regen Schutz suchte? Die jetzt daheim auf ihn wartet?

Gefühlsmechanismen werden freigelegt

Geschickt legt Lendle in „Was wir Liebe nennen“ die Gefühlsmechanismen frei, die wir für unberechenbar halten. Dabei gelingt ihm ein Tonfall heiterer Abgeklärtheit, der noch die absurdesten Wendungen begleitet. Nach der ersten Nacht lässt Fe Lambert allein im Hotel zurück, seiner Habseligkeiten beraubt.

In eine Gardine gewickelt jagt er ihr hinterher. Ausgerechnet in der Ortschaft Hippolyte wird er fündig. Wie sehr der seepferdchenförmige, Hippocampus genannte Teil des menschlichen Gehirns für unsere Gefühlsstürme verantwortlich ist, hat Lendle da bereits hinreichend dargelegt – und den Bogen zum Hippopotamus geschlagen.

Doch statt ein Ende mit doppeltem Happy-Hippo-Irgendwas wählt Lendle eines mit Spiegeleffekt. Lambert zögert, er weiß nicht, „wohin mit dieser anderen Möglichkeit seines Lebens“. Plötzlich steht er sich selbst gegenüber, seinem anderen, verrückten Ich, das sich der neuen Liebe frag- und geschichtslos in die Arme wirft.

Angst vor der großen Gefühlssause

Ein Zaubertrick – leider ein wenig faul. Als würde Lendle der eigenen poetischen Kraft nicht vertrauen, als hätte er Angst vor der großen Gefühlssause. Erst ganz am Ende findet er wieder zum emotionalen Tonfall des Anfangs, diesem leichten, heiteren Trab durch das Hormonfeuerwerk im Hirn.

Bisher war er Chef bei Dumont

Ab 2014 wird Lendle – Jahrgang 1968, bisher Chef des Kölner Dumont-Verlags und Autor von nunmehr vier Romanen – als Nachfolger von Hanser-Verleger Michael Krüger einen der wichtigsten deutschen Verlage leiten. Man möchte ihm die Fähigkeit der Selbstverdoppelung wünschen: Damit er sich dieser neuen Aufgabe widmen und zugleich viele weitere wunderbare Romane schreiben kann.