Essen. Das Buch lebt. Mag sein, dass weniger Bücher gelesen werden – geschrieben werden immer mehr. 2002 kamen rund 5500 deutsche Belletristik-Titel auf den Markt, zehn Jahre später: 10.000. Denn auch heute noch ist für viele Menschen das Schreiben ein Traum.

Ihre Freunde haben „die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen“. Denn nach dem Studium an der Berliner Humboldt-Uni schrieb Stefanie de Velasco nicht etwa Bewerbungen – sondern ihr erstes Kapitel. Einen Roman! Stefanie de Velasco hat durchaus Verständnis für skeptische Reaktionen: „Wenn man sagt, man schreibt einen Roman, dann hat das ja auch etwas sehr Lächerliches. Vor allem, wenn man noch gar nichts veröffentlicht hat.“ Mit ihrem Debüt „Tigermilch“ aber landete die 1978 in Oberhausen geborene Autorin einen der Überraschungserfolge dieses Herbstes.

Schriftsteller zu werden ist noch immer ein Traum erstaunlich vieler Menschen. Auch jener, die wir als „Generation Internet“ fürs historische Medium Buch verloren glaubten.

Der Traum vom Schreiben - aus der Sicht von Illustrator Jamiri.
Der Traum vom Schreiben - aus der Sicht von Illustrator Jamiri. © Jamiri

Lange Zeit war die deutschsprachige Gegenwartsliteratur fest in der Hand der etablierten, graumelierten Herren. Als Ende der 90er-Jahre jene Welle begann, die heute den Namen „Fräuleinwunder“ trägt, entdeckte die Literatur ihren Nachwuchs. Das Zauberwort „Debüt“ öffnete alle Türen. Diese Begeisterung fürs Junge, Neue mag ein wenig abgeflaut sein, noch immer aber haben die Literaturverlage in jeder Saison mindestens ein Erstlingswerk im Programm.

Was für ein herbstbunter Ball der Debütanten: Da erzählt Stefanie de Velasco von den Mädchen Nini und Jameelah und zugleich vom Crash der Kulturen. Hannah Dübgen, Jahrgang 1977 und in Düsseldorf aufgewachsen, schreibt das coole Porträt einer Generation, die in der ganzen Welt daheim ist. Und Monika Zeiner, die sich schon wissenschaftlich mit der „Liebesmelancholie“ befasste (im italienischen Mittelalter, allerdings), wagt auf über 600 Seiten einen Ausflug in die Liebesträume und -trauer der Gegenwart.

Das Schreiben ihres ersten Romans hat sie als Befreiung empfunden, erzählt Monika Zeiner: „Endlich musste ich mich nicht mehr um Fußnoten kümmern!“ Dann aber merkte sie, dass man auch beim fiktionalen Schreiben „sehr, sehr genau“ arbeiten muss, es begann ein „harter Prozess“ des Wegwerfens und Neuschreibens. Ihre Mühe wurde belohnt: „Die Ordnung der Sterne über Como“ ist einer von sechs Titeln, die um den Deutschen Buchpreis konkurrieren – und dieser Ritterschlag ein weiteres Zeichen dafür, wie offen der Literaturbetrieb fürs Neue ist.

Kann man das Schreiben lernen?

Wie schafft man es so weit nach oben? Kann man das Schreiben lernen? Die Schriftstellerei begriffen die Deutschen lange Zeit als Genieberuf, vielmehr: -berufung. Während in den USA das Kreative Schreiben an den Unis früh groß geschrieben wurde, bilden deutsche Hochschulen erst seit kurzem Schriftsteller aus: 1995 wurde in Leipzig das Deutsche Literaturinstitut gegründet, 1999 in Hildesheim der Studiengang Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus, 2006 das Schweizerische Literaturinstitut in Biel. Allein in Leipzig bewerben sich alljährlich bis zu 600 hoffnungsfrohe Jungtalente – um gut 20 Plätze.

Der Reiz, ein eigenes Buch zu veröffentlichen, ist auch heute noch groß.
Der Reiz, ein eigenes Buch zu veröffentlichen, ist auch heute noch groß. © WAZ FotoPool

Durchaus, sagen Absolventen, erlerne man hier manch nützliches Handwerkszeug. Vor allem aber lerne man sich als Autor ernst und wichtig zu nehmen – und den eigenen Texten gegenüber dennoch kritisch und misstrauisch zu bleiben. Zudem erfreuen sich die „Dipl. Schriftsteller“ der Aufmerksamkeit bei Literaturagenten und Lektoren. Das schaffen allerdings auch Autorenwerkstätten oder Wettbewerbe. „Zum Glück“, sagt Stefanie de Velasco, habe sie bereits für die ersten 20 Seiten ihres Romans einen Nachwuchspreis gewonnen – da meldete sich gleich eine Agentin. „Für mich war das unheimlich wichtig, dass ich Resonanz bekomme.“

Es geht aber auch ohne – ohne Schreibstudium, ohne Literaturpreise. Siehe Monika Zeiner, die bis zum Romandebüt als Hörspiel-Autorin und Sängerin der Italo-Swing-Band Marinafon ihr Geld verdiente. Derart multitalentierte Seiteneinsteiger wie sie bedienen den Hunger des Literaturbetriebs nach echten Typen.

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Fragt man etwa Jo Lendle, ab 2014 Leiter des renommierten Hanser-Verlags, was er von einem Debütanten erwartet, lautet seine Antwort: „Einen Ton, der mir erlaubt zu glauben, dass daraus nicht nur ein einzelnes Buch entsteht, sondern wirklich der Auftritt eines Autors. Etwas Besonderes, das mich überrascht. Es muss nicht alles reif und abgeklärt und fertig sein, kann ruhig noch das Entstehende zeigen. Aber ich muss das Gefühl haben, dass da jemand aus sich heraus kantig sagt: Ich stehe hier für mich selbst.“

Ich stehe hier – und kann nicht anders. Warum eigentlich? Was macht den Reiz des Schreibens aus? Die Welt in Worte zu fassen, das ist eine geistige Extremsportart: Ich allein gegen ein weißes Blatt Papier.

Ohne Disziplin geht auch das Schreiben nicht

Hannah Dübgen, die als Theaterautorin begann, schwärmt von einer „Ur-Faszination“: „Es war mein Traum, allein ein Werk zu schaffen, das nur aus Buchstaben besteht.“ Monika Zeiner genießt „den Luxus und die Zeit, die man beim Romanschreiben hat, ganz in einen Kosmos einzutauchen“. Und Stefanie de Velasco sagt schlicht: „Ich wollte immer schreiben.“

Für sie lässt sich die Kunst des Romanschreibens, soll sie denn anderen jungen Schreibtalenten einen Rat geben, ganz auf „die Formel Disziplin“ herunterbrechen. „Das Allerwichtigste ist“, sagt De Velasco, „sich jeden Tag hinzusetzen und alles, was ablenken könnte, auszuschalten. Wenn man einfach nur so rumträumt, dann bringt man nichts zu Papier.“

Gerade hat Stefanie de Velasco ihren zweiten Roman in Angriff genommen. Und wieder steht sie ganz am Anfang: „Ich fühle mich wie ein Dilettant, wirklich.“

Der erste Satz ist der schwerste. Jedesmal.

Tipps für angehende Autoren

In der kommenden Woche beginnt die Frankfurter Buchmesse : mit über 7000 Ausstellern und 3500 Lesungen, Gesprächen und Diskussionen die größte Fachmesse weltweit (9. bis 13. 10.). Angehende Autoren haben hier die Chance, mit Verlagsleuten ins Gespräch zu kommen.

Jeweils im Frühjahr nehmen das Literaturinstitut Leipzig, die Universität Hildesheim und der Studiengang in Biel Bewerbungen entgegen.
www.deutsches-literaturinstitut.de
www.uni-hildesheim.de/schreiben
www.hkb.bfh.ch In Biel kostet die Bewerbung 250 Schweizer Franken, rund 204 Euro.