Essen. . Man hatte das Schicksal der entführten Natascha Kampusch schon fast vergessen. Doch jetzt bringt der Film „3096 Tage“ alles wieder in Erinnerung. Er wird sein Publikum finden, denn Regisseurin Sherry Horman zeigt auch, was sich zwischen Entführer und Opfer sexuell getan hat.
„3096 Tage“ ist ein Film, der wie ein ungebetener Gast wirkt im Kinoangebot. Vielleicht deshalb, weil man die zu erwartenden Bilder eigentlich gar nicht sehen will. Man spürt Scheu davor, sich einem Werk auszusetzen, dass ein achtjähriges Martyrium abbilden möchte. Jene acht Jahre, die Natascha Kampusch aus Wien sich vom zehnten Lebensjahr an in der Gewalt ihres Entführers Wolfgang Priklopil befunden hat. Man weiß bereits viel aus dieser Zeit, nicht zuletzt durch das Buch des Opfers. Was also soll nun dieser Film?
Gedreht wurde auf Englisch
Zunächst einmal, ärgerlich genug, will die deutsch-amerikanische Regisseurin Sherry Horman („Wüstenblume“) hier Österreich weit hinter sich lassen und schier universell erscheinen. Gedreht wurde auf Englisch, die Hauptfigur wird in der Kinderzeit von einer jungen Britin (Amelia Pidgeon) und als Teenager von einer Irin (Antonia Campbell-Hughes) verkörpert. Die Rollen sowohl des Entführers Priklopil (Thure Lindhardt) als auch von Mutter Kampusch (Trine Dyrholm) liegen in der Hand von Dänen. In der Synchronfassung wird der Film dann endgültig zum staatenlosen Vagabunden, denn jeder Anflug von Wienerisch wird hier peinlich vermieden.
Nach der Werbung, die Natascha Kampusch selbst in diesen Tagen für den Film macht, kann man nur davon ausgehen, dass er von ihr auch abgesegnet wurde. Obwohl er erstmals eine Reihe von Szenen enthält, die den sexuellen Bereich im Täter-Opfer-Verhältnis tangieren. Wir sehen Priklopils Begehren wachsen, wenn er der älter gewordenen Natascha beim Duschen zuschaut, man sieht ihn schließlich Präservative im Supermarkt kaufen und seine Gefangene anschließend vergewaltigen.
Ballhaus wieder an der Kamera
Einmal sieht man, wie sie dabei sogar so etwas wie Lust empfindet, ein Kontrollverlust, der einen Suizidversuch zur Folge hat. Horman wird argumentieren, dass solche Szenen unerlässlich sind, um alle Facetten dieser Jahre aufzuzeigen. Dass sie damit auch den Voyeurismus bedient, nimmt sie billigend in Kauf.
Neben all diesen Vorbehalten ist „3096 Tage“, vor allem darstellerisch und aufnahmetechnisch, ein besserer Film geworden, als man das befürchtet hatte. Michael Ballhaus ist für seine Frau Sherry Horman noch einmal an die (Digital-)Kamera zurückgekehrt, um seine ganze Kunst zu zeigen. Immerhin spielt der größte Teil des Films in dem nur sechs Quadratmeter großen Kellerverschlag, aus dem Priklopil sein Opfer nur gelegentlich an die Oberfläche holte.
Erschreckend banales Würstchen
Thure Lindhardt macht aus seinem Entführer ein erschreckend banales Würstchen, das von der Mutti mit Vorgekochtem überhäuft wird, das aber panische Angst vor anderen erwachsenen Frauen hat. Deshalb holt er sich ein Kind, das ihm später Frau sein soll und bei dem er Gott spielen kann. Mal wirkt er wie ein kleinbürgerlicher Despot, mal wie ein düsterer Racheengel, wenn seine Wut sich in wüsten Misshandlungen Bahn bricht. Dann wieder mutiert er zum liebevollen Partner, der sein Opfer mit Geschenken, später auch mit kleinen Ausflügen belohnt.
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Tagebuch auf Toilettenpapier
Antonia Campbell-Hughes hat für ihre Rolle erschreckend abgenommen. Mit kurz geschorenem Haar, bekleidet nur mit Hemdchen oder übergroßen Herren-Unterhosen, wirkt sie in ihrer beängstigenden Knochigkeit beinahe wie eine KZ-Überlebende. Ihre Augen aber verraten, dass hier ein wacher Geist sich immer noch Fluchtchancen ausrechnet. Inzwischen hat sie damit begonnen, auf Toilettenpapier eine Art Tagebuch zu führen, in dem sie auch über die Brutalität ihres Peinigers Buch führt.
Zu Beginn hört man Nataschas Stimme, die davon spricht, dass am Ende nur einer von beiden überleben wird. Dieses Klappergestell, das bei seiner Flucht nur noch 38 Kilo wog, hat eine feste Vorstellung davon, wer das sein wird.