Berlin. Überraschende Entwicklung: RTL, Deutschlands größter privater Fernsehsender, schlägt einen neuen Kurs ein und wird investigativ. Doch wirkt dieser Imagewandel nachhaltig? Medienbeobachter sehen das investigative Herangehen an journalistische Themen derzeit in der Mode.
Es gab Zeiten, da übersetzten selbst RTL-Mitarbeiter die Abkürzung ihres Arbeitgebers nicht mit "Radio Télévision Luxembourg", sondern schlichtweg selbstironisch mit "Rammeln, Töten, Lallen". Schrille Programme wie Hugo Egon Balders "Tutti frutti" oder Erika Bergers "Eine Chance für die Liebe" prägten das Außenbild des Kölner Privatsenders. In diesem Jahrtausend hießen die Aushängeschilder bislang "Deutschland sucht den Superstar", "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" und "Das Supertalent".
Doch einige Formate haben ihre Strahlkraft ein wenig verloren. Die Dschungelshow "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" steht zwar immer noch hoch im Kurs, doch die Castingshows leiden unter sinkenden Quoten. Das Durchschnittsalter des RTL-Publikums ist höher geworden, der Sender arbeitet jetzt an seinem Image: Guter, unverwechselbarer Journalismus statt Retortenshows mit vorhersehbarer Dramaturgie und inszeniertem Jubel. RTL fährt eine redaktionelle Qualitätsoffensive mit investigativen Elementen.
Reihe "Deutschland undercover" in der zweiten Jahreshälfte
Zunächst drang im Frühjahr RTL-Reporter Jenke von Wilmsdorff (48) mit seinem "Jenke-Experiment" in sensible Lebensbereiche ein - er nahm Drogen, setzte sich in den Rollstuhl, ging in Hospize, alles mit Selbstversuchcharakter und hoher körperlicher wie geistiger Belastung.
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Dann trumpfte der altgediente und immer noch umstrittene Enthüllungsspezialist Günter Wallraff (71, "Team Wallraff - Reporter Undercover") auf. Er legte die Finger beim Versandhaus Zalando, bei der Fast-Food-Kette "Burger King" und bei den Marseille-Kliniken in Wunden. Andere Medien nahmen die RTL-Recherchen auf und berichteten.
Ein Coup gelang Reporter Wolfram Kuhnigk (45), der die Magdeburger Polizei mit Informationen über einen Pädophilenring eindeckte und den Fahndern somit zu einem beachtlichen Schlag gegen Kinderpornografie im Netz verhalf. Mit Kuhnigk will RTL in der zweiten Jahreshälfte auch die Reihe "Deutschland undercover" starten: Der Journalist wird über den Pädophilenring berichten und über eine Sekte, gegen die auch der Verdacht des Kindesmissbrauchs vorliegt.
Medienbeobachter sehen Modeerscheinung
Bei RTL ist von einem grundlegenden Imagewandel nicht die Rede. "Wir sind eben beides: Die große Show ebenso wie guter, auch investigativer Journalismus", sagte Jan Rasmus, Leiter der für diese Inhalte zuständigen "Extra"-Redaktion, der Nachrichtenagentur dpa. "Dieser Mix ist kein Widerspruch, sondern Kern des Erfolgs von RTL. Zu Jahresbeginn haben wir mit dem "Dschungel" die Themen gesetzt, jetzt sind es die Enthüllungen unserer jungen Reporter vom "Team Wallraff"".
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Medienbeobachter sehen das investigative Herangehen an journalistische Themen derzeit in der Mode. "Es gibt einen regelrechten Hype um den investigativen Journalismus", sagte der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen der dpa. "Viele Medien gründen eigene Ressorts, kaufen teure Enthüllungsreporter ein. Und Fernsehsender, die bisher nicht durch ein Übermaß an seriöser Recherche auffällig geworden sind, wollen ebenfalls von dem Imagegewinn des Investigativen profitieren." Man versuche, gerade in Zeiten verschwimmender Grenzen zwischen PR und Journalismus verloren gegangenes Vertrauen der Zuschauer und Leser zurückzugewinnen.
Öffentlich-rechtliche Konkurrenz ist nicht besorgt
Aber legt sich RTL nicht mit Werbekunden an, wenn über sie investigativ berichtet wird? Werden bestimmte Firmen, die zum RTL-Umsatz beitragen, ausgeklammert? "Wir sind journalistisch unabhängig, nicht nur im politischen Sinne", so Rasmus. "Ob privatwirtschaftliche Großunternehmen oder städtische Einrichtung: Uns interessieren Missstände und ihre Relevanz für die Zuschauer."
Und die öffentlich-rechtliche Konkurrenz? "Bei aller Anerkennung, was RTL da leistet: Besonders originell sind Themenwahl und Erkenntnisse nicht", sagte Chefredakteur Peter Frey in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". "Die Themen Zalando, Burger King, Altenpflege hat "ZDFzoom" in den letzten zwei Jahren behandelt, mit interessanten Ergebnissen und ansehnlichen Marktanteilen". Bei RTL handele es sich um einen "Überraschungseffekt", solche Stoffe würden "von diesem Sender nicht erwartet". (dpa)