Köln. . Der „Tatort“ im Ersten surft auf einer Welle des Erfolges. „Tatort“-Koordinator Gebhard Henke vom WDR kennt die Gründe des Trends. Seine Analyse konzentriert sich auf junge Zuschauer und ihre Echtzeit-Kommunikation via Facebook und Twitter.
Der „Tatort“ surft auf einer Welle des Erfolges. Binnen kurzer Zeit übersprangen mehrere Episoden die magische Zehn-Millionen-Zuschauer-Marke. „Tatort“-Koordinator Gebhard Henke vom WDR versucht im Gespräch mit Jürgen Overkott eine Erklärung. Eine nicht unbedeutende Rolle spielen dabei Internet-Phänomene wie Facebook und Twitter.
Der „Tatort“ mag ja eine Erfolgssträhne haben, aber Fußball-Krimis wie jüngst in Wembley funktionieren beim Publikum noch besser. Was haben die Kicker dem „Tatort“ voraus?
Gebhard Henke: Das kann ich Ihnen sagen: Ereignisse wie Wembley sind ganz selten (ich kann mich nicht daran erinnern, dass im Finale der Champions League je zwei deutsche Mannschaften gestanden haben), und der „Tatort“ kommt jede Woche. Und man muss das doch auch mal so sehen: Ja, Fußball ist, vor allem bei Welt- und Europameisterschaften, ganz weit vorn, und dann kommt erst mal nichts, und dann kommt schon der „Tatort“.
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Zugegeben, meine Frage war unfair.
Henke: Sie müssen sich nicht entschuldigen.
Doch, die Frage war unfair. Denn mit dem Stuttgarter „Tatort“ ist innerhalb von kurzer Zeit schon wieder einem Team gelungen, die Zehn-Millionen-Marke zu überspringen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Henke: Ja. (Pause) Aber nicht wirklich. Der Erfolg kommt eben nicht aus dem Nichts.
Es gibt kein fiktionales Format, das seit 43 Jahren läuft
Es ist ein Trend.
Henke: Trotzdem kann ich nicht sagen, dass sich die Filme, die wir in diesem Jahr gezeigt haben, fundamental von denen aus dem Vorjahr oder denen von vor fünf Jahren unterscheiden. Meine Erklärung für den Trend ist: Der „Tatort“ steht für Kontinuität. Es gibt eben sonst kein (fiktionales, Red.) Format, dass schon seit 43 Jahren zu sehen ist, und diese Aura, die die Reihe umgibt, scheint so interessant zu sein, dass gerade die Jüngeren immer mehr den „Tatort“ entdecken.
Und nicht nur die.
Henke: Wir wissen, dass Männer wie Frauen die Reihe interessant finden, Menschen unterschiedlicher Altersklassen und auch unterschiedlichen Bildungsgrades. Der „Tatort“ kommt schon so lange, kommt regelmäßig und ist trotzdem modern.
Der „Tatort“ hilft, das Leben zu strukturieren.
Henke: Wie die „Sportschau“ und die „Tagesschau“. Aber dass der „Tatort“ so erfolgreich ist, hat niemand von uns vorgesehen, obwohl wir uns ja alle viel Mühe geben, unsere Sache gut zu machen. Wir beide haben vor einiger Zeit mal darüber gesprochen, ob die gewachsene Zahl der Teams nicht zu einer Unübersichtlichkeit führt, die das Publikum nicht mag. Aber ich kann Ihnen sagen: Der „Tatort“ macht uns im Augenblick einfach nur große Freude. Ob Til Schweiger oder Wotan Wilke Möhring: Die neuen Ermittler werden ja gefeiert, als wenn ein Bundesliga-Club einen neuen Spieler vorstellt.
Es müssen nicht immer die ganz schnellen Schnitte sein
Aber Tradition könnte man auch gegen den „Tatort“ wenden. Es gibt ja neben dem „Tatort“ nur noch zwei weitere Lagerfeuer: die „Sportschau“ und die „Tagesschau“. „Wetten, dass..?“ glüht nur noch auf kleiner Flamme.
Henke: Schon. Aber beim „Tatort“ ist zu beobachten, das auch Jüngere im Hinblick auf Rituale konservativ sind. Die Jüngeren wollen gar nicht immer etwas Neues, und es müssen auch nicht immer die ganz schnellen Schnitte sein. Viele von ihnen haben Spaß an klassischer Krimi-Kultur.
Das war aber nicht immer so. In den 90ern steckte der „Tatort“ in der Krise. Womit hat das Erste die Trendwende geschafft?
Henke: Das habe ich gar nicht so erlebt. Aber gut, einen Erosionsprozess hat es damals gegeben. Diese Entwicklung hat mit dem Aufkommen der privaten Konkurrenz zu tun, in den 90ern hat sich das gesetzt. Das Fernsehspiel und der Fernsehfilm waren damals verunsichert. Aber ich finde nicht, dass sich das in der nachlassender Qualität der Produkte niedergeschlagen hat.
Die Tatort-Kommissare
Der „Tatort“ aus Münster lockte das junge Publikum
Gut, aber wodurch hat sich der Trend gedreht?
Henke: Was ich beobachtet habe (ich kann es allerdings nicht wissenschaftlich belegen): Der „Tatort“ Münster war der erste, der einen jüngeren Altersdurchschnitt hatte. Prahl und Liefers waren anfänglich normal erfolgreich. Und ich habe ich bei meinen eigenen Kindern beobachtet, dass sie mich Tage nach der Erstausstrahlung ansprachen, ob ich ihnen eine DVD der Folge geben könne. Diese Entwicklung hat etwas mit dem Internet zu tun. In der Vor-Facebook-Zeit wurde der „Tatort“ in Foren diskutiert, oft mit dem Tenor: Das war geil. Und dieser Trend hat sich derart verstetigt, dass es heutzutage doch vielerorts so ist, wer den „Tatort“ nicht gesehen hat, kann am Montag danach gar nicht mehr mitreden. Egal ob man die Episode gut oder schlecht fand: Die Kommunikation darüber ist genauso wichtig wie das Objekt der Begierde.
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Die Kommunikation im Netz läuft häufig über Twitter und Facebook. Welche Impulse nehmen die „Tatort“-Macher auf?
Henke: Das ist nicht neu, dass sich Zuschauer an uns wenden; früher gab es Briefe. Ich kann immer wieder nur sagen: Das Publikum ist hochkompetent. Wobei ich sagen muss, dass das jüngere Publikum noch kompetenter als das ältere ist, weil junge Leute oft sehr filmgebildet sind. Sie kennen viele ausländische Formate, sie erkennen Fehler, bei den Dialogen, bei der Ausstattung, bei den Szenen-Anschlüssen. Selbst wenn die Kommentare einmal böse sind, zeugen sie letzten Endes von einer großen Zuwendung und Liebe zum Objekt. Andererseits sind die Meinungen zu einem Fall immer geteilt: Der eine findet Privatgeschichten der Fahnder blöd, der andere ist gegenteiliger Ansicht.
Spannend, wie sich die Erfurter und die Dortmunder machen
TatortIn welche Richtung entwickelt sich der „Tatort“?
Henke: Die Mischung aus bekannten und neuen Teams stimmt. Jetzt kommen noch die Erfurter dazu, und die Frankfurter konzentrieren sich nach dem Abschied von Joachim Król mit Margarita Broich auf ein neues Team. Persönlich spannend finde ich, wie sich die Erfurter und auch die Dortmunder machen: Bei beiden sind die Teams größer als zwei. Ansonsten ist es so, dass die Redaktionen die „Tatorte“ in großer Autonomie erstellen. Ich selbst sehe die Filme auch oft erst dann, wenn sie fertig sind.
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Ein großer TV-Trend sind amerikanische Serien. Übt der Erfolg bei Publikum und Kritik so etwas wie kreativen Druck auf den „Tatort“ aus?
Henke: Na ja, diese Diskussion führe ich nicht mit Zuschauern, sondern muss ich mit Journalisten und meinen Filmstudenten führen. Wir werden in Amerika oft beneidet. Erstens, die Amerikaner mögen Serien haben, aber haben nicht die Tradition des qualitätsvollen Fernsehfilms wie wir, und zweitens werden wir von den Amerikanern oft darum beneidet, mit wie wenig Mitteln wir so opulente Filme machen. Aber ich finde die Debatte interessant. Und ich finde interessant, was HBO macht oder auch die Skandinavier. Und dennoch bleibe ich dabei: Wir sollten unseren eigenen Weg gehen. Diesen Ehrgeiz sollten wir uns nicht nehmen lassen.
Brillante Schauspieler plus Psychologie
Gut, und dennoch: Jenseits von teurer Action stellen amerikanische Serien – von „CSI: New York“ bis „Criminal Minds“ - das Team in den Mittelpunkt der Ermittlungen, mit flacher Hierarchie. Was der eine Ermittler sagt, nimmt der andere auf und führt es weiter.
Henke: Genau das machen wir beim Dortmunder Team. Wir stellen die Beziehungen der Team-Mitglieder bei der Arbeit in den Mittelpunkt; ihr Privatleben spielt keine autonome Rolle. Aber letztlich stehen wir auch da in der Tradition des „Tatortes“: Wir setzen auf brillante Schauspieler und eher auf Psychologie als auf Action.