Essen. Am Mittwoch endete nach 15 Jahren und Staffeln "Emergency Room - Die Notaufnahme": Mitte der 90er hatte die von Michael Crichton erdachte Serie andere Krankenhaus-Dramen alt aussehen lassen und das Fernsehen wiederbelebt.

Michael Crichton, der im vergangenen Jahr starb, hatte
Michael Crichton, der im vergangenen Jahr starb, hatte "ER" schon Anfang der 70er geschrieben. © Getty Images © Getty Images/AFP

Wenn man sich heute den Pilotfilm von „Emergency Room – Die Notaufnahme ansieht“, wirkt er ein bisschen überholt. Als er 1994 im Fernsehen lief, wurde den Zuschauern schwindelig. So wackelig war sonst nichts gefilmt, was über den Sender ging, so schnell nichts geschnitten, was kein Musikvideo war: Nie zuvor hatten sich die Zuschauer so mittendrin gefühlt. So alt die Arzt-Serie als Genre war, so neu fühlte sich „ER“ an. Nach 15 Staffeln wurde am Mittwoch auf ProSieben die letzte Folge der Serie ausgestrahlt, die Mitte der 90er das Fernsehen wiederbelebte.

Dass die Serie überhaupt produziert worden ist, ist ein TV-Wunder. Keiner wollte sie, selbst die meisten der Schauspieler überlegten zweimal, bevor sie zusagten. Das wird den gleichen Grund haben wie die Tatsache, dass "ER "ein solcher Erfolg wurde: Der Stoff und die Machart waren so ungewöhnlich, dass lange Zeit kein Geldgeber das Risiko eingehen wollte – und das Ergebnis war so intensiv, dass viele Staffeln lang niemand mehr abschalten wollte.

Blut spritzt, Menschen sterben - wer will das sehen?

Blut spritzt auf Kittel, Erbrochenes landet auf Schuhen, viele Menschen durchleben Krisen, andere sterben: Wer will so was sehen? Ärzte und Krankenschwestern zum Beispiel, echte, die wissen, was los ist, wenn das EKG eine Kammertachykardie misst oder jemand bradikard wird, und die mit „Emergency Room“ zum ersten Mal beim Anschauen einer Krankenhaus-Serie weder an Kopfschmerzen, noch an Übelkeit oder an Lachkrämpfen litten. Oder Kult-Filmemacher Quentin Tarantino, der 1995 eine Folge in Szene setzte. Regie-Ikone Steven Spielberg, der der Serie Geburtshilfe geleistet hatte, und John Wells, der die Serie nicht nur produziert, sondern auch rund ein Zehntel der 330 Folgen geschrieben und bei sieben Regie geführt hat. Keine Arzt-Serie hatte je so authentisch ausgesehen; der im vergangenen Jahr gestorbene „ER“-Erfinder Michael Crichton („Jurassic Park“, „Twister“) hatte Medizin studiert.

Statt halbgöttlich einfach schön normal

Das Fach-Chinesisch seines Dr. Ross machte George Clooney einige Probleme. (c) afp
Das Fach-Chinesisch seines Dr. Ross machte George Clooney einige Probleme. (c) afp © AFP

Bestimmt ein Grund, warum seine Ärzte kein bisschen halbgöttlich wirkten und die Krankenschwestern zwar immer sehr verbindlich mit den Patienten umgingen, den Doktoren gegenüber aber eher kratzbürstig waren. Nicht nur die Handlung lag nah am wahren Leben, die Figuren waren es auch. George Clooney und Julianna Margulies als Immer-mal-wieder-Paar Doug und Carol gehörten zu den Schöneren, viele der anderen Schauspieler, die im Ensemble schillerten, sahen einfach schön normal aus; nicht alle Frauen waren dünn oder hatten symmetrische Gesichter, nicht alle Männer hatten dichtes Haar und kantige Kieferknochen.

Der sympathische Dr. Greene (Anthony Edwards) zum Beispiel, der bis zu seinem Dahinscheiden moralisch und medizinisch der Beste von allen war und trotzdem gravierende Fehler machte. Dr. Weaver, von Laura Innes als überambitionierter Eisklotz gespielt, der erst nach vielen, vielen Staffeln auftaut. Und natürlich Noah Wyle als John Carter, dessen Coming-of-Age als Doktor die „ER“-Fans miterlebten – mit allen Höhen und Tiefen.

Schnelle Schnitte, hohes Tempo

Laura Innes gab viele Jahre lang Dr. Kerry Weaver als überambitionierten Eisklotz. © Getty Images
Laura Innes gab viele Jahre lang Dr. Kerry Weaver als überambitionierten Eisklotz. © Getty Images © Getty Images

Figuren, die alle schon lange nicht mehr dabei sind. Es wirkt so, als hätten die Verantwortlichen bei der Rotation des Notaufnahmen-Personals ziemlich aufgedreht; Parminder Nagra war zuletzt die Dienstälteste, und ihre Figur Neela Rasgotra verkörpert die Veränderungen, mit denen die Quoten, die Ende der 90er in den USA bei durchschnittlich unerhörten 32 Millionen Zuschauern lagen, zehn Jahre später in immer schwächeren Drehbüchern gerettet werden sollten: immer mehr Liebesgeschichten.

Das hatte nichts mehr mit der Fernseh-Innovation zu tun, für die „Emergency Room – Die Notaufnahme“ in den 90ern stand: Neben den schnellen Schnitten gab’s die besonders langen Einstellungen, die nur möglich wurden, weil "ER" die erste Fernsehproduktion war, in der die Kameraleute viel mit der tragbaren Steadicam arbeiteten. Sie brachte Tempo, folgte den Ärzten durch die Gänge, drängte durch die Schwingtüren vom einen in den anderen Behandlungsraum, rotierte um die Krankentrage. Dazu all das Fach-Chinesisch, das nicht nur die Zuschauer nicht verstanden, sondern die Schauspieler genauso wenig; George Clooney soll sich die Vokabeln auf die Hand geschrieben haben, weil er sie sich nicht merken konnte – der brütend gesenkte Blick hatte also weniger damit zu tun, dass Dr. Ross zu sexy für diese Welt war, als damit, dass Clooney Textlücken hatte.

Sexy für Filmstars

War zuletzt die Dienstälteste in der Notaufnahme: Parminder Nagra spielte Dr. Neela Rasgotra. ©Getty Images)
War zuletzt die Dienstälteste in der Notaufnahme: Parminder Nagra spielte Dr. Neela Rasgotra. ©Getty Images) © Getty Images

Sexy wurden Fernseh-Serien für Filmstars zum Beispiel durch „ER“: Oscar-Preisträgerin Sally Field hatte eine wiederkehrende Rolle, Ewan McGregor und Forest Whitaker spielten Männer in Krisen und Ray Liotta bekam für seine darstellerische Leistung eine der 22 Emmy-Auszeichnungen, die die Serie bei 122 Nominierungen für diesen "Fernseh-Oscar" gewann. In die andere Richtung funktionierte „Emergency Room“ nur für George Clooney; niemand sonst aus dem Ensemble hat nach dem Abschied aus der Notaufnahme eine nennenswerte Filmkarriere gemacht.

Am Mittwoch endete die in Chicago spielende Drama-Serie auf ProSieben, im April war die letzte Episode beim US-Sender NBC gelaufen. Keine Folge zu früh: Die Zeiten, in denen „Emergency Room“ für Diskussionsstoff sorgte - durch politische Themen oder ungewöhnliche Machart – sind lange vorbei. Inzwischen steht „Dr. House“ für Kantigkeit, seichte Arzt-Romanzen mit ein bisschen Lebenretten nebenbei sind bei „Grey’s Anatomy“ netter anzusehen. Noch ein Wiedersehen mit Schauspielern der ersten Stunde gab's "Zu guter Letzt", wie die Doppelfolge betitelt war: die Ärztinnen Susan Lewis (Sherry Stringfield) und Kerry Weaver (Laura Innes), Peter Benton (Eriq La Salle) und Elizabeth Corday (Alex Kingston) kamen zur Eröffnung einer Klinik, die John Carter (Noah Wyle) vom Familienvermögen gestiftet hat - ein guter Anlass für ein bisschen Pathos.

Und sonst? Streiften die letzten 90 Minuten in der Notaufnahme noch mal große Themen: Aids und Demenz, Komasaufen und Katastrophe, Geburt und Tod. 72 Jahre kannte sich das nette Paar, dann zeigt das EKG eine Null-Linie. Der alte Mann braucht Gewissheit und blickt von seiner Frau zum Arzt: "Das war's also?"