Essen. Sie sprechen von “Hexenjagden und Sippenhaft“. Millionengewinne aus Schutzgelderpressung und Prostitution? Das sehen die Rocker der Hells Angels beim Talk von Sandra Maischberger nicht. Eine Wirtin aus Flensburg hält dagegen: Als sie die Rocker nicht mehr bezahlte, gingen Haus und Auto in Flammen auf.
Es ist längst nationales Thema, was sich regional in der Rockerszene des Ruhrgebiets tut. Die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, dass für Hells Angels und Bandidos Deutschland die zweitwichtigste Arena ist – nach den USA. Und: „Das Ruhrgebiet und Berlin sind die traditionell am heißesten umkämpften Schauplätze“.
Bei „Menschen bei Maischberger“ sind es Erich Rettinghaus von der Deutschen Polizeigewerkschaft in NRW, der Stuttgarter Innenminister Reinhold Gall (SPD) und der Schriftsteller Jürgen Roth, die vor den Motorradbanden warnen. Rettinghaus, weiß man, sieht einen „Staat im Staate“ heranwachsen: „Das ist Anarchie und sehr gefährlich für unser System“.
Die Schüsse von Sterkrade vor mehr als einer Woche haben das Klima zwischen den Motrorrad-Gangs angeheizt und die Öffentlichkeit zwischen Flensburg und Füssen aufgeschreckt. Die Motive des Überfalls auf den 23-jährigen Höllenengel werden zwar lokal verortet: In einer Auseinandersetzung der Oberhausener Türsteherszene. Ihr Echo aber ist jetzt bundesweit.
Immer mehr Geschichten werden erzählt über Rocker, ihre Taten, ihre Opfer – und ihre Expansionen und Pläne. Auch in TV-Talks. „Menschen bei Maischberger“ hat Dienstagabend einen Einblick gegeben, wie die Betroffenen Auseinandersetzungen selbst empfinden. Oder wie sie sie darstellen.
Flensburger Wirtin berichtet von Schutzgelderpressung der örtlichen Gang
Ute Johannsen ist eine vierfache Mutter. Die Flensburger Wirtin berichtet: Über Jahre wurde sie gezwungen, ihren „Shamrock Irish Pub“ zu horrenden Honoraren - 3000 Euro im Monat - durch die örtliche Gang-Szene beschützen zu lassen. Als sie nicht mehr mitmachte, sind Haus und Auto in Flammen aufgegangen. Das Lokal konnte sie nicht mehr führen. Sie klagt jetzt in der Öffentlichkeit an: „Ein Gast wurde bei mir verprügelt“. Die aus Hamburg angereisten Clan-Chefs hätten mit der Randale ‚Spaß haben’ wollen. „Und das Geld, was ich verdiente, musste ich weitergeben“.
Doch Johannsens Berichte und auch die Kritik der drei Männer an den Rockern sind in der Sendung blaß geblieben. Den beiden Vertretern der Szene aber ist es gelungen, ohne großen Widerstand zum einen das Rocker-Opfer Ute Johannsen in schlechtes Licht zur rücken („überschuldet“), dann aber die ganze Sendung zur Plattform ihrer Unschuldsparolen zu machen.
„Wir sind keine Engel, aber auch keine Schwerverbrecher“, sagt da Lutz Schelhorn. Schelhorn ist Fotograf, Hells Angels-Präsident in Stuttgart. Er ist ein PR-Profi. Sein Hells Angel-Kumpel Rudolf „Django“ Triller beherrscht den öffentlichen Auftritt nicht weniger gut: „Wir halten Werte hoch wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und Respekt“. Man liebe die Freiheit, das Motorradfahren. Er wehre sich dagegen, dass sein Club pauschal in den Verdacht der kriminellen Vereinigung gerate. Millionengewinne aus Schutzgelderpressung und Prostitution? „Die sehe ich nicht“. Was die Rocker dagegen wittern: „Hexenjagden und Sippenhaft“. Die Gesellschaft gegen sie.
Schelhorn, 54, beteuert: „Der Club hat mir viel gegeben“. Er streitet wie „Django“ eine grundsätzliche Gewalttätigkeit der Gruppierung ab: „Seit Jahren wird mit Hochdruck gegen uns ermittelt. Es gibt aber keine Resultate, die diesen Aufwand rechtfertigen“. Doch er hat auch in einem Zeitungsgespräch gesagt: „Wenn mir einer blöd kommt, sage ich: hau ab. Beim zweiten Mal sage ich’s noch mal. Beim dritten Mal brettert es“.
Der Kern ihres Auftritts: Die Rocker-Protagonisten, die in der Szene gegen neu auftretende Konkurrenz zu kämpfen haben, scheinen gegenüber der bürgerlichen Welt eine neue leicht eingängige Verteidigungslinie zu suchen. Komme es zur Gewalt, sei das „Gewalt, die sich aus Armut entwickelt“, will Schelhorn Glauben machen. Triller ergänzt: „Ich bin vor zwei Jahren in Duisburg gewesen. Viele junge Leute sind da arbeitslos. Sie sitzen in Cafes rum. Deutsche und Ausländer. Das ist deprimierend“.
Mädchen haben bei den Rockergruppen keine Chance
Mitleidsheischend erzählt man dann, wie Rocker Jungs aus kleinsten Verhältnissen eine Chance geben, die große Welt kennenzulernen. Mädchen übrigens, das räumen sie ohne großes Federlesen ein, ist das Mitmachen in der Männergesellschaft sowieso verbaut.
Erich Rettinghaus und der Innenminister von Baden-Württemberg, Reinhold Gall (SPD) sind einer Meinung, der harten Tour der Rockerbanden sei mit einer harten Tour des Staates zu begegnen. Ihre Waffe ist vereinsrechtlich und heißt: Verbot. „Das Verbot einzelner Vereine ist der beste Weg, die organisierte Kriminalität, die von Schutzgelderpressung bis zu Drogen- und Menschenhandel reicht, zu bekämpfen“, glaubt der NRW-Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft. Innenminister Gall setzt sich für ein „bundesweites Vorgehen“ aus.
Doch richtig zum Zug ist bei Maischberger die Linie nicht gekommen. Gut, dass es noch Gerichte gibt. Verbote funktionieren. Das Verwaltungsgericht Kassel hat gestern zwei, die in Hessen verhängt wurden, bestätigt. Triller sagt, das habe seine Leute überrascht.