Essen. Da konnten die “The Voice of Germany“-Juroren Nena, The BossHoss und Xavier Naidoo ihre Enttäuschung kaum verbergen. Hatte doch ihr Konkurrent Rea Garvey mit Stimmwunder Michelle Perera wieder eine Mitfavoritin in sein Team gelotst.

Für einen Moment vergisst man, dass es sich um eine Castingshow handelt. Michelle Perera (27) steht auf der Bühne. Pinker Schal, pinke Lippen, schwarze Tunika und ein fetter Haarknoten auf dem Kopf drapiert. Sie steht auf der „The Voice of Germany“-Bühne und liefert ab. Wie bei einem Konzert, für das man Eintritt bezahlt hat. Sie singt den eher unbekannten Song „Mamma Knows Best“ von Jessie J. Sie muss nicht mehr geprüft werden. Logisch, dass sich alle vier Juroren in den „Blind Auditions“ von „The Voice of Germany“ zu ihr drehen, dieses Stimmwunder aus Rom sehen wollen.

Dass von Michelle Perera noch mehr zu erwarten ist als bei ihrem ersten „The Voice of Germany“-Auftritt, lässt sich leicht beweisen. Ein paar Klicks in ihrem YouTube-Kanal genügen.

Rea Garvey schnappt sich Stimmwunder aus Rom

Am späten Freitagabend hatten ihre großartigen Cover-Versionen von Adele und Rihanna jedoch weniger als 2000 Klicks. Perera sagte, dass sie in Italien auch italienisch singen müsse. Wie gut, dass italienische Zuschauer offenbar eher schmierige Italo-Pop-Hymnen hören wollten. Wie gut für die zweite Staffel von „The Voice of Germany“, wie gut für Rea Garvey, den Perera als Coach wählte. Garveys Jurykollegen Xavier Naidoo, The BossHoss und Nena guckten enttäuscht. Bereits i der ersten Show hatte Rea Garvey einige starke Kandidaten in sein Team gelockt.

Auch die restlichen „The Voice of Germany“-Minuten am Freitagabend bei Sat.1 waren kurzweilig. Kein einziger Kandidat sang schlecht – und trotzdem kamen manche eben nicht weiter. Nur gut reicht nicht, zumindest Nena will immer nicht nur gute Stimmen hören, sondern in der Stimme auch die Seele des Kandidaten erkennen.

Rock-Tante bei The Voice of Germany

Der Kindergärtner Michael Heinemann erreichte Nena. Er sang gefühlvoll „Dancing on My Own“ (Robyn). Die 24-jährige Guilia Wahn aus Münster interpretierte „Warwick Avenue“ (Duffy) solide. Rea Garvey taufte sie „Rock-Tante“. Das passte zum vorherigen Einspieler, der sie als Motorrad-Fan vorstellte. Schon jetzt will Guilia wie ein Star sprechen. Ihre Familie, um nur ein Beispiel zu nennen, ist ihr „familiärer Support“. Da hat ihre PR-Agentur „S2 network GmbH“ wohl trainiert.

Eva Croissant (21), Berufsmusikerin aus Karlsruhe, überzeugte Nena mit „Auf dem Weg“ (Mark Forster). Als die schüchterne Gitarristin zusätzlich ihren selbstgeschriebenen Titel „Dein Herz trägt Felsen” singen durfte, war auch den anderen Juroren Nenas Begeisterung klar. Bei „Deutschland sucht den Superstar“, dem lustig-trashigen, aber musikalisch völlig unbedeutenden Fremdschäm-Stadl von RTL, wäre jetzt ein Clip-Art mit einem schlecht animierten Herz mit Felsen ins Bild gerollt worden. Der Fels wäre zerbröckelt: Eva wäre an den Gesteinsresten zerschellt.

Für Vanessa ist der Traum von The Voice of Germany geplatzt

Aisata Blackman aus Zaandam in den Niederlanden sang „Nothing‘s Real But Love“ (Rebecca Ferguson) wie ein Bühnenprofi – der sie ja auch bereits ist. Sie war unter anderem fünf Monate fest in einem Musikerensemble engagiert. Ein „Battle“ zwischen Asiata Blackman und der stimmlich ähnlich klingenden Michelle Perera ist wohl der Traum jedes „The Voice of Germany“-Dramaturgen. Holland gegen Italien sind wohl im Endspiel dabei. Schwer vorstellbar, dass bei diesen routinierten Gesangstalenten einmal die Nerven versagen.

Raus hingegen ist Vanessa Henning aus Hagen-Hohenlimburg (28). Die bühnenerfahre Expertin für Pink-Coverversionen bekam Lob für „Nobody Knows“, aber kein Juror hatte sich während ihres Auftritts für sie umgedreht. Xavier Naidoo hätte sich mehr “Volumen in der Stimme” gewünscht. Backstage witzelte Vanessa, auf der Bühne stand sie noch wie bedröppelt da. Sie hatte sich schon in der nächsten Runde, den „Battles“, gesehen.

Paradiesvögel gehören auch bei "The Voice" dazu

„The Voice of Germany“ verzichtet nicht auf die „Paradiesvögel“, die jede Castingshow bisher präsentierte. Bestes Beispiel:Freaky T. (35). Ihr Auftritt mit „Ordinary People“ (John Legend) blieb weniger in Erinnerung als ihr Tattoo der Maus von der „Sendung mit der Maus“ auf dem einen und Totenköpfen auf dem anderen Oberarm.

The BossHoss rieten Freaky T., nicht zu Xavier Naidoo zu gehen, denn er sei zwar ein guter Sänger, aber kein guter Coach. Nena fand das Verhalten nicht gut, sagte: „Ich würde zu Xavier gehen.“

FreakyT. geht tatsächlich zu Xavier ins Gesangsteam und der kleine Zwist in der Jury ist vorbei. Der Mini-Zoff der Juroren wirkte wohltuend uninszeniert.

Wer Bohlen-Sprüche erwartet, wird enttäuscht

Fazit: Junge, männliche Zuschauer werden wahrscheinlich nicht so viel gefallen an „The Voice of Germany“ finden – zumindest, wenn es nach der Forschung geht. Die meisten Jungen sehen Castingshows wie DSDS, weil sie auf die bösen Jury-Urteile hoffen, die Kandidaten verletzten. Das belegt eine Studie der Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien. „Sehen, wie sich Leute zum Affen machen“, gab darin ein Elfjähriger als Grund an, Castingshows zu gucken.

Bohlen-Sprüche erfüllen laut einer weiteren Studie von Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin eine jugendliche Sehnsucht nach Grenzverstößen.

Die große Schande bei „The Voice of Germany“

Nena sagt zwar manchmal „hammermäßig“ - so wie Bohlen auch. Mehr Gemeinsamkeiten mit DSDS oder „Supertalent“ hat „The Voice of Germany“ nicht. Die große Schande für die Kandidaten ist nicht das Ausschlachten biografischer Brüche, kein Lachen über Aussehen und Eigenarten. Die große Schande bei „The Voice of Germany“ ist der Blick der Kandidaten auf vier Rückenlehnen.

Doch auch wenn sich die Stühle mit den Juroren erst nach dem Auftritt drehen, brauchen die Kandidaten keine Angst haben. Sie können auch nach ihrer Castingerfahrung mit ihrem Leben weitermachen.„The Voice of Germany“ ist die postpubertäre Variante einerCastingshow im deutschen Fernsehen.