Essen. Tischgespräch statt Polittalk im Ersten: „Lügen satt – was ist noch echt in unserem Essen?“ wollte Frank Plasberg bei „Hart, aber fair“ wissen. Statt Rezepten für einen Alltag ohne Fertigprodukte bekam der Zuschauer jedoch vor allem trockene Fakten und gepfefferte Zitate. Nicht jedem schmeckte das.

„Lügen satt – was ist noch echt in unserem Essen“: Frank Plasbergs Talk „Hart, aber fair“ bot ein dreigängiges Menü: Die Vorspeise bestand aus ungenießbarem Fakten-Salat, als Hauptgang wurden Erkenntnisse mit geistigem Nährwert gereicht, und zum Nachtisch gab's rhetorisch fein abgeschmeckte Zitate. Manchem Zuschauer stieß der Mix sauer auf.

Die Reaktionen

Zuschauer-Anwältin Brigitte Büscher brachte die Publikumsreaktionen gegen Ende der Sendung auf den Punkt. Sie schwankten zwischen „Ratlosigkeit, Wut und Ärger“. Unausgesprochen auch deswegen: Zum Ende der Sendung gab es für die Zuschauer – im doppelten Sinn – keine Rezepte, wie sie sich a) vor betrügerischer Werbe-Lyrik schützen und wie sie a) besser kochen können, zumal wenn sie unter Zeitdruck stehen. Dafür aber gab's Kontroverse satt, und das lag an den Gästen.

Die Gäste

Plasberg hatte zwar überwiegend übliche Verdächtige eingeladen, und dennoch funktionierte der Schlagabtausch gut. Schon von der Sitzordnung her waren die Kontrahenten zu erkennen: Alfred Hagen Meyer, Anwalt der Lebensmittel-Industrie, und Verbraucherschützer Thilo Bode von der unabhängigen Organisation Foodwatch saßen jeweils am Rand des Fünfer-Tisches. Die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier neigte – trotz Lebensmittel-Allergie – in manchen Punkten eher der Industrie zu, deshalb hatte sie Plasberg neben Meyer platziert. Sterne- und Fernsehkoch Björn Freitag war eher Bode zugeordnet. Als ausgleichende Waage inszenierte „Hart, aber fair“ Medizin-Journalist Dr. Werner Bartens von der „Süddeutschen Zeitung“ in der Mitte des Quintetts.

Die Runde bewies übrigens augenfällig, wie wichtig der Faktor Charme im Fernsehen ist. Charme ist der Süßstoff, der bittere Botschaften oder gar gallige Gemeinheiten so zuckert, dass das Publikum sie bereitwillig schluckt. Lebensmittel-Lobbyist Meyer hatte viel Charme. Hat er deshalb auch Recht?

Die Machart

Plasberg provozierte zu Beginn des Talks in bestem Sinne, einerseits um die Diskussion anzuheizen, andererseits um Abstraktes anschaulich zu machen: Er zeigte Produkte, deren Verpackung Verbraucher täuschen und, schlimmer noch, täuschen dürfen. Musterbeispiel: der „Teekanne“-Tee mit einer Optik aus Birnen und Mirabellen. Der Tee enthält allerdings gar keine getrockneten Furchtstücke, sondern lediglich Fruchtaromen.

„Teekanne“ teilte übrigens mit, der Geschmack sei durch Fruchtzusätze nicht erreichbar – sondern durch Labor-Aromen.

Die Argumente

Lobby-Anwalt Meyer pochte auf geltendes Recht. Nebenher outete er sich als fröhlicher Zyniker, als er unterstellte, Verbraucher wollten beim Verzehr von Lebensmitteln auch „Spaß haben“ und ein „Geschmackserlebnis“. Später ließ Meyer durchklingen, Verbraucher wollten betrogen werden.

Bode hielt sofort gegen mit der Formel: „Lebensmittel sind keine Gebrauchtwagen; Lebensmittel sind Vertrauensware.“ Der knäcketrockene Verbraucher-Schützer mit dem Oberlehrer-Ton forderte eine klare, leicht verständliche Kennzeichnung der Ware ein. Zudem verlangte er von der Europa-Parlamentarierin Hohlmeier gesetzliche Regeln statt unverbindlichen Appellen.

Hohlmeier lavierte. Einerseits ist die christsoziale Politikerin allergisch gegen viele Lebensmittel-Zusätze, die in der E-Liste geführt werden. Andererseits mochte sie sich den Forderungen von Foodwatch nach durchweg strengeren Regeln für die Industrie nicht anschließen. Hohlmeier rettete sich rhetorisch mit dem Hinweis, selber kochen sei allemal gesünder, als Fertigpackungen zu verwenden.

Maitre Freitag, nebenher Schalke-Koch, durfte Werbung machen für seine Küche, die ohne Gewürzmischungen und vorgefertigte Pampe auskommt.

Fachjournalist Bartens vertrat den Standpunkt, dass viele Fertigprodukte gesunden Menschen weder Schaden noch Nutzen bringen. Allerdings wandte er sich erklärtermaßen gegen Lebensmittel, die einen medizinischen Vorteil versprechen. Bartens sprach sich aber auch gegen eine „ideologische Überhöhung“ von Bio-Produkten aus.

Bei allem Streit in der Sache gab es einige bemerkenswerte Erkenntnisse.

Erkenntnisgewinn

  • Kalbfleisch-Leberwurst besteht seit langem aus einem Mix aus Kalbfleisch und Schweineleber. Lobbyist Meyer: „Kalbsleber ist einfach zu bitter.“
  • Der umstrittene Geschmacksverstärker Glutamat wird gern ersetzt durch Hefe-Extrakt. Einer der wichtigsten Bestandteile: Glutamat.
  • Überhaupt die Zusätze: Die E-Liste der erlaubten Zusatzstoffe -  von der Lebensmittelfarbe bis hin zum Verdickungsmittel – enthält 360 Positionen. Die Hälfte der Stoffe ist umstritten.

Trotz dieser deprimierenden Fakten gab es erheiternde Momente. Und das lag an zuweilen launigen Sprüchen.

Zitate

  • Björn Freitag: „Das Schlimme sind für mich Aromen. Für ein Gulasch brauche ich vier Gewürze: Salz, Pfeffer, Paprika-Pulver und ein Lorbeerblatt.“
  • Monika Hohlmeier: „Ich will ein bisschen Bewusstsein dafür schaffen, dass man sein Leben nicht mit Fertiggerichten verbringen muss.“
  • Ein Zuschauer: „Gott weiß alles – nur nicht, was in der Wurst ist.“

Wurst war der ARD übrigens am Montagabend eine ordentliche Programm-Planung.

Der Montagabend im Ersten

Dabei hatte das Erste in diesem Frühjahr – das darf sich die ARD-Vorsitzende Monika Piel auf die Habenseite schreiben – gerade am Montag oftmals einen starken Audience Flow hingelegt. Hinter dem sperrigen Begriff verbirgt sich die Vorstellung, dass Zuschauer gern den ganzen Abend bei einem einzigen Sender verbringen – wenn die Programm-Gestaltung stimmt. Und im Frühjahr stimmte sie: Die Doku-Reihe „Marken-Check“ legte montags um 20.15 Uhr stark vor, und Plasberg arbeitete das jeweilige Thema bei „Hart, aber fair“ auf – ebenfalls erfolgreich.

An diesem Montagabend jedoch war das anders. Das Erste begann mit einer unverbindlich schönen Natur-Doku über das Barrier Reef in Australien. Plasbergs Thema indes hatte damit rein gar nichts zu tun – es ging nicht einmal um Schildkröten-Suppe. Da bleibt ein schaler Nachgeschmack.