Essen. Frank Plasberg hatte keine Chance. Aber er nutzte sie. Der Polit-Talker ist, der ARD sei's geklagt, stets der Zweite im Wochenrhythmus. Natürlich griff sich Kollege Günther Jauch als Erster das Thema Gauck. Aber Plasberg hatte am Montagabend den pfiffigeren Dreh.
Während Deutschlands teuerster Talker, Günther Jauch, unmittelbar nach der Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten Standardfragen stellte und durchweg Standardantworten erhielt, nahm Frank Plasberg in seiner Sendung am Montagabend die Wahl des Präsidenten zum Anlass, grundsätzlich über den Stellenwert von Politikern nachzudenken. Dabei war es gut für die Diskussion, dass die beiden Polit-Profis Franz Müntefering (72; SPD) und Christian Lindner (33; FDP) schon vor der Sendung beschlossen hatten, „hart, aber fair“ nicht als Plattform für den nordrhein-westfälischen Wahlkampf zu missbrauchen.
Vielmehr nutzen beide Plasbergs Vorlage, leidenschaftlich für Politik als Beruf zu werben. Wichtig war ihnen auch der Hinweis, dass die meisten Politiker aus lauteren Motiven Einfluss auf die Gestaltung der Gesellschaft nehmen wollen.
Müntefering empfand die Bezahlung von Politikern als angemessen hoch. Sie garantiere ihnen Unabhängigkeit. Zudem verwies auch Gastgeber Plasberg mit einem exemplarischen Einspieler über den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach darauf, dass der Medizin-Professor in der Wirtschaft ein Vielfaches seines Politiker-Gehaltes beziehen könne.
Dient Gauck als "Bewährungshelfer" für die Politik?
Plasberg hatte seinen Gesprächskreis provokativ gefragt, ob der Pfarrer aus Rostock die Ehrenrettung der Politik bedeute, indem er ihr Haltung und Würde wiedergebe. Plasberg benannte Gaucks Rolle bereits im Sendungtitel überspitzt mit „Bewährungshelfer“. Genau das unterstellte einen Trend unter Politikern zu kriminellem Treiben.
Die Frage verfehlte ihre erhoffte Wirkung nicht. Müntefering hielt prompt gegen: „Ich bin stolz, Politiker zu sein.“ In Deutschland werde über Politiker „auf hohem Niveau“ geschimpft. Im Gegenteil: „Münte“, wie er bei den Genossen heißt, geht direkt zum Gegenangriff über. In der Demokratie gebe es beim Wahlvolk eine „Bring- und Holschuld“. Bürger seien in der Pflicht, zur Wahl zu gehen, und sie seien in der Pflicht, sich vor politischen Entscheidungen zu informieren.
Der überraschend für die NRW-Wahl reaktivierte Liberale Christian Lindner sekundierte. Bundesweit sei Politik lediglich für 2000 Menschen ein Beruf. Der überwiegende Teil der Politiker arbeite ehrenamtlich. Lindner warb für seine Positionen mit glaubwürdigem Nachdruck.
Während die beiden Berufspolitiker mit den Parteien logischerweise das System verteidigten, das ihnen zu einflussreichen Funktionen verhalf, stand der Schauspieler Walter Sittler für engagierten Bürger-Protest. Der 59-Jährige hatte gegen den Bahnhofsneubau Stuttgart 21 demonstriert. Sittler hält die Bürger für „die größte Partei, die es gibt“. Beinahe wäre allerdings in der Diskussion untergegangen, dass es eher Bürgerbewegungen mit begrenzten Themen als eine geschlossene Bürgerbewegung mit einem gemeinsamen Nenner gibt.
Sittler erwies sich als wichtiger Gegenpart, indem er das Eigenlob der beiden Berufspolitiker relativierte. Für Sittler gibt es ein wachsendes Gerechtigkeitsproblem in der Republik. Das machte er an der steigenden Zahl armer Kinder und an immer mehr Menschen in nicht auskömmlichen Jobs fest.
Christian Lindner sparte mit Phrasen
Ein Nebenkriegsschauplatz war die Frage nach dem Stellenwert des Alters in der Politik. Müntefering gab sich, auch im Hinblick auf seinen deutlich jüngeren Kollegen Lindner, großzügig. Ob ein Politiker 72 oder 27 sei – in beiden Fällen könne er richtig wie falsch liegen. Lindner hingegen fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, weil er, vermutlich nicht zum ersten Mal, hören musste oder durfte, reifer zu wirken als sein sechs Jahre älterer Parteifreund Vizekanzler Philipp Rösler. Tatsächlich aber verstärkt der Wermelskirchener mit vielen Auftritten, auch mit dem bei Plasberg, exakt diesen Eindruck. Lindners Rhetorik wirkt gelassen. Zumindest bei Plasberg setzte er die Phrasendreschmaschine sparsam ein.
Als spielerisches Element setzte Plasberg die Forderung Philip Kiril von Preußen ein. Der auf angenehme Weise streitbare Ururenkel von Kaiser Wilhelm II. zieht derzeit mit der Forderung nach Wiedereinführung der Monarchie durch die Lande. Sein Argument: Die Monarchie steht für konservative Werte, die die Gesellschaft stabilisieren. Das ließ ihm Plasberg nicht durchgehen. Beim Stichwort Familie hob er auf die kaputte Ehe der verstorbenen Lady Di ab. Zudem erinnerte der Moderator daran, dass der letzte Hohenzollern-Kaiser mitverantwortlich für den Ersten Weltkrieg war. Überdies sprach er den Preußen-Prinz direkt auf persönliche Ambitionen an.
Aber Plasberg führte die Runde mit leichter Hand und zuweilen sogar augenzwinkernd, so dass keine gehässigen Zwischentöne aufkamen. Nicht zuletzt bekannte Preußens Philip Kiril, für welchen Kandidaten er bei der Präsidentenwahl gestanden habe: Joachim Gauck.