Essen.. Frank Plasberg nahm den Freitod von Lebemann Gunter Sachs zum Anlass, über die Würde des Lebens und ein Leben in Würde zu sprechen. Dank nachdenklicher Gäste gelang dem ARD-Talker eine der besten Ausgaben von „Hart, aber fair“.
Kann ein Mensch durch eine Krankheit seine Würde verlieren? Ist es verständlich, dass ein Mensch die Angst vor einer schweren Krankheit zum Anlass nimmt, sich umzubringen? Der Freitod des Lebemanns Gunter Sachs war Thema der jüngsten Folge von „Hart, aber fair“ von Frank Plasberg. Lediglich Klatsch-Reporterin Inga Griese von der „Welt“ enttäuschte. Ihre Beiträge waren vor allem vom Stolz darauf geprägt, mit den Schönen und Reichen dieser Welt auf Du und Du zu sein.
Die Runde eröffnete Griese mit ein paar persönliche Erinnerungen an den verstorbenen Künstler und Lebenskünstler Gunter Sachs, dem es selbst bei seinem Freitod um Eleganz ging. Noch beim Sterben, so legte es sein in Ausschnitten gezeigter Abschiedsbrief nahe, wollte Sachs eine bella figura machen. Er hatte sich selbst die Diagnose gestellt, an „A.“ zu leiden. Sachs’ Entscheidung, sein Leben zu beenden, nannte Griese „mutig“.
Der Theologe Stephan Kulle widersprach. Er verwies darauf, dass ein Freitod von Angehörigen nicht zwangsläufig als Erlösung empfunden wird. Kulle selbst gab nach einem schweren Unfall der Freitod einer Mitpatientin neuen Lebensmut. Sie war auf dem besten Weg, körperlich zu gesunden. Weil sich aber der Partner von ihr trennte, wurde sie darüber psychisch krank.
Vorsicht vor „Dr. Google“
Eine Vorlage für Harald-Juhnke-Sohn Peer. Er sah Sachs’ Freitod nicht in erster Linie als Reaktion auf die erwartete Alzheimer-Erkrankung. Stattdessen sah der Mediziner den einsamen Freitod des einstigen Lebenskünstlers als bitteres Ergebnis einer Depression. Juhnke warnte zugleich vor „Dr. Google“. Meistens seien die selbst gestellte Diagnosen schlichtweg falsch.
Schnell war in der Talk-Runde klar, dass hinter dem Tod von Sachs die Angst vor der klassischen Altersphase stand, die bei Alzheimer und Demenz mit dem Verlust der Persönlichkeit und damit dem Kontrollverlust über das eigene Leben einhergeht. Sachs’ Freitod war ein Ausrufezeichen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Er rief eine lebendige Diskussion hervor, in den Feuilletons der Republik, aber auch im Plasberg-Publikum.
Die Beiträge der Gäste waren oft persönlich gefärbt. Kein Wunder: Peer Juhnkes Vater hatte an Alzheimer gelitten, und Tilman Jens’ Vater Walter, einst der wohl beste Rhetoriker der Republik, lebt seit Jahren im Paralleluniversum der krankhaften Vergesslichkeit. Obwohl Tilman Jens nach eigenem Bekunden aktive Sterbehilfe geleistet hätte, wenn ihn sein Vater ausdrücklich darum gebeten hätte, beschrieb der Frankfurter Schriftsteller Szenen von neu erwachter Lebenslust des ehemaligen Tübinger Rhetorik-Professors. Allein sein schier unersättlicher Appetit zeuge davon: „Er isst nicht, er spachtelt.“ Allerdings steht auch hinter dem Lebenswillen von Walter Jens liebevolle Rundum-Pflege. Zugleich offenbarte Tilman Jens, dass er seinen Vater keineswegs aus einem sauren Pflichtgefühl heraus besucht. Im Gegenteil: „Ich freue mich auf den Kerl.“
In Würde leben - trotz Demenz
Plasberg steuerte die Diskussion durch klug eingestreute Impulse. So warf er die provozierende These des Autors Michael Jürgs in die Runde, der zu aktiver Sterbehilfe für dahinsiechende Patienten aufruft. Die Entscheidung solle der Familienrat fällen.
Das lehnte die ehemalige Gesundheitsministerin Renate Schmidt (SPD) rundweg ab. Aktive Sterbehilfe nannte sie „grauenhaft“. Eine solche Entscheidung sei für eine Familie eine enorme Belastung. Peer Juhnke warb für die heute schon mögliche Verfügung des Patienten selbst.
Ein befremdliches Gefühl löste ein Ausschnitt aus einer Schweizer Doku über einen manisch-depressiven Arzt um, die letztlich die Chronik eines angekündigten Todes war. Filmemacher Hanspeter Bäni wollte ihn umstimmen, erfolglos. Er litt nach eigenen Worten körperlich darunter. Daraus zog Bäni die logische Konsequenz: „Ich würde ein ähnliches Projekt nie wieder machen.“
Plasberg gelang, die Debatte nicht in trübem Moll enden zu lassen. Seine Mitarbeiterin Brigitte Büscher machte Mut mit einem tagesfrischen Beitrag aus einer erkennbar fröhlichen Demenz-Wohngruppe in Mettmann. Liebevolle Betreuung und systematische Verankerung der Patientinnen im Gestern helfen offenbar, auch demenzkrank ein lebenswertes, würdiges Leben zu führen. Daraus zog Renate Schmidt den Schluss: „Wohngruppen erhöhen die Lebensqualität.“ Ihr Umkehrschluss: Menschen „mit Pflegestufe 3 wegsperren – das ist das Hinterletzte.“ Schmidt verlangte, das der Staat ein würdiges Leben mit Alzheimer bezahlbar machen müsse.
Im Vergleich dazu wirkte Klatsch-Kolumnistin Grieses Plauderei aus dem Kennedy-Clan wie der Ausschnitt aus einer Reality-Soap. Der Mann von JFK-Schwester Eunice, Sargent Shriver, habe auch als Demenzkranker wie selbstverständlich am Familienleben teilgenommen, Sport inklusive. Was sie nicht sagte: Die US-Oberklasse bezahlt locker Privatschwestern für 24-Stunden-Pflege. Unterm Strich jedoch war der Promi-Plausch verzeihlich.
„Hart, aber fair“ hat die Debatte um den Umgang von Familie und Gesellschaft mit Alter und Siechtum nicht beendet. Sie hat gerade erst begonnen.