Essen. Sechs Mal hat Mehmet Kurtulus den Undercover-Polizisten Cenk Batu im Hamburger “Tatort“ gespielt. Der Abschiedsfilm läuft am Sonntag, 6. Mai, in der ARD. Im Interview spricht der Schauspieler über seine Rolle, seine Qualitätsansprüche und darüber, warum er mehr Zeit mit Partnerin Désirée Nosbusch in Los Angeles verbringen will.

Am Sonntag ermittelt der Undercover-Cop Cenk Batu zum Letzten Mal an der Elbe. Im Gespräch mit Angelika Wölke erzählt Mehmet Kurtulus , warum er sich vom Tatort verabschiedet und warum er zukünftig mehr Zeit in Los Angeles verbringen wird.

Warum haben Sie sich vom „Tatort“ nach nur sechs Einsätzen verabschiedet?
Mehmet Kurtulus: Soll man nicht aufhören, wenn’s am Schönsten ist… und schöner als mit einem Liebesfilm kann es ja nicht werden. Es war eine ganz persönliche Entscheidung, mich nach dem 6. und letzten Tatort nach neuen Herausforderungen umzusehen.

Obwohl der Cenk Batu doch noch einiges an Entwicklungspotenzial hat.
Kurtulus: Ja, aber auf der einen Seite brauche ich das Risiko und die Unsicherheit. Davon nährt sich meine Kreativität, und ich habe die Chance zur persönlichen Weiterentwicklung. Sowohl als Mensch als auch als Schauspieler. Aus der Sicht von Batu muss man sagen, dass die verdeckte Ermittlung in einem Stadtstaat wie Hamburg nur eine kurze Halbwertszeit hat, zumal wenn eine Entwicklung angestrebt wird, ohne ganz absurd zu werden. In der Konsequenz hätte man also das Format nach der ‚Ballade’ einer weiteren Veränderung, die aus sich heraus entsteht, unterziehen müssen. Dazu wird es leider nicht mehr kommen.

Hatten Sie das Gefühl, durch die intelligent angelegte Rolle mit vielen rasanten Schnitten, den Zuschauer schon mal zu überfordern – die Kritik war immer gut, die Quote eher mau?
Kurtulus: Der Hamburger Tatort hat den Zuschauer eher herausgefordert. Wir haben die Geschichte aus der Sicht von Batu erzählt und machten den Zuseher zum Beobachter – mehr noch zum Komplizen. Die Geschwindigkeit des Erzählflusses ließ weder Batu noch dem Zuschauer Zeit zur Rekapitulation. Die Komplexität wurde dadurch nicht nur eine Herausforderung für den Kommissar, sondern auch für das Publikum. Wir waren also immer am Tatort und fuhren nicht erst hin. Diese Idee eröffnete uns eine neue Erzählstruktur und somit einen neuen Ansatz, den ‚Tatort’ zu interpretieren.

Hat Ihr Abschied vom Tatort auch etwas damit zu tun, dass der NDR Ihnen eine Ausschließlichkeitsklausel in Ihren Vertrag geschrieben hat, wonach Sie während der Tatort-Zeit keine anderen Rollen fürs Fernsehen annehmen durften?
Kurtulus: Ganz und gar nicht. Ich hatte während meines Engagements die Freiheit, auch für andere Produktionen außerhalb des Fernsehens zu arbeiten. Ich halte jedoch den ‚Tatort’ für ein optimales Fernsehformat und wollte mich neben meinen Arbeiten im Kino ausschließlich darauf konzentrieren.

Ihre Filmografie liest sich recht übersichtlich. Woran liegt’s?
Kurtulus: Das ist meinem Rhythmus und dem Faktor Zeit geschuldet. Ich liebe es, den Projekten die Zeit zu geben, die sie benötigen. Ich genieße die Vorbereitung auf ein Projekt, sowie die Dreharbeiten als auch die Zeit danach, um mich von dem Charakter wie von einem guten Freund zu verabschieden.

Liegt es auch daran, dass Qualität recht selten angeboten wird?
Kurtulus: Gute Drehbücher bzw. Angebote liegen leider nicht jede Woche in der Post, deshalb braucht man auch viel Geduld für diesen Beruf.

Welche Qualitätsansprüche stellen Sie an Ihre Rollen?
Kurtulus: Eine Rolle muss mich interessieren, berühren oder herausfordern. Ich habe diesen Beruf nicht ausschließlich gewählt um Geld zu verdienen, sondern möchte dadurch Menschen erreichen, mit denen ich Lebensschicksale teilen kann, die es wert sind, erzählt zu werden. Dieser Respekt zwingt mich zur Sorgfalt.

Kann das deutsche Fernsehen - außerhalb des Tatortes - Ihren Ansprüchen noch genügen?
Kurtulus: Ich halte das Fernsehen für sehr spannend und teilweise innovativer als das Kino. Statt eines Kinosequels bin ich beispielsweise eher ein großer Fan von ‚Walking Dead’. Eine ‚unaufwändige’, intelligente und emotionale Geschichte, die nur durch ihre Charaktere lebt. Wenn man sich die große Qualität des Fernsehens vor Augen hält – lassen sich in Serien und Reihen Geschichten ‚weitererzählen’ und ‚Innovationen’ aufgrund technischer Flexibilität bekommen eher eine Chance - als im Vergleich zum traditionellen Kino. Wenn wir uns mal umschauen, sehen wir, wie außerordentlich beliebt nationale und internationale Formate heute sind, in denen beispielsweise auch Schauspieler wie Jean Reno erstmals eine Hauptrolle in einer französischen Fernsehserie übernehmen. Dies gilt es auch in Deutschland weiterzuentwickeln.

Apropos Kino: Sie haben in den letzten Jahren einige Filme abgeliefert.
Kurtulus: Natürlich durfte ich in den vergangenen drei Jahren eine große Aufmerksamkeit durch den Hamburger Tatort genießen. Kinoprojekte wie ‚Vasha’, ‚Buio’ oder ‚Transfer’, der erst Ende letzten Jahres in den deutschen Kinos lief, blieben da eher im Schatten. Doch das Kino ist größer als die Realität, da wird ein Augenaufschlag zur Sensation. Schauspielerisch gilt es, das Spiel zu verkleinern und zu verfeinern. Auf diese Arbeit würde ich gerne wieder den Schwerpunkt legen, ohne aber das Fernsehen zu vernachlässigen.

Sie sind auf dem Sprung nach Amerika, pendeln seit Jahren zwischen Ihrer Familie um Ihre Lebenspartnerin Désirée Nosbusch in Los Angeles und Berlin.

Kurtulus: ‚Unsere’ Entscheidung, mehr Zeit in L.A. zu verbringen, war eher ein privater, um unsere Beziehung zu genießen und einen gemeinsamen Alltag zu verleben – nach all dem Pendeln über zwei Kontinente hinweg.

Was läuft für Schauspieler in Amerika anders, vielleicht sogar besser?
Kurtulus: Es fällt mir nicht leicht, ihre Frage zu beantworten, denn in Los Angeles gibt es so viele hochtalentierte und trainierte Schauspieler, mit denen man in Konkurrenz tritt, dass es die Situation nicht einfacher macht als in Deutschland – eher im Gegenteil.

Sie haben 2009 gesagt: „Allein durch meine Präsenz trägt der NDR zur Integrationspolitik in Deutschland bei.“ Wie beurteilen Sie Ihre Aussage heute?
Kurtulus: Ich wollte unaufgeregt meine Arbeit als Schauspieler im Hamburger Tatort fortführen, ohne ‚Multikulti-Sosse’ auszugießen. Nach wie vor bin ich der Meinung, dass das höchste Maß an Integration die Normalität ist. Dass ich einen anders klingenden Namen habe, war für mich der einzige Unterschied.

Wie weit ist Deutschland heute noch in Sachen Integration von der Normalität entfernt?
Kurtulus: Es gibt viele positive Entwicklungen auf verschiedenen Ebenen. Sei es im Entertainment, der Literatur oder der Wirtschaft. Im Sinne der ‚Normalität’ stecken wir aber noch in den ‚Kinderschuhen’, denn diese Debatte betrifft in der Öffentlichkeit immer noch ‚fast ausschließlich’ Mitbürger mit türkischen Wurzeln, deren Jubiläumfeierlichkeiten zum 50. Jahrestag letztes Jahr stattfanden. Wie steht es da beispielsweise um unsere Mitbürger aus Afrika? Wie sehr spiegelt die ‚Normalität’ dies wieder? Aus Kindern werden Leute - dies ist ein langer Prozess, an dem viele Menschen tagtäglich arbeiten und das Gemeinsame nicht aus den Augen verlieren, anstatt nur die Unterschiede zu suchen.

Verraten Sie uns, wann wir Sie wo wiedersehen?
Kurtulus: Das steht noch in den Sternen.

Und geben vielleicht einen Tipp an Ihren Nachfolger Til Schweiger: Was sollte er, nachdem er schon den Tatort-Vorspann abschaffen wollte, auf keinen Fall tun?
Kurtulus: Ich denke, Til ist mit allen Wassern gewaschen und versteht was von Marketing... ob es ihm nützt oder schadet, ist ihm überlassen.