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Cenk Batu kann einem leid tun. Privatleben? Den Begriff kennt der verdeckte Ermittler aus Hamburg kaum. Der kann seine Tarnidentität nicht einmal im Bett ablegen. Das Ergebnis ist eine komplizierte Liebesgeschichte innerhalb eines eigentlich schon hinreichend verwickelten Falles.

Die Ermittler aus anderen „Tatorten“ haben wirklich wenig Grund, ihren Hamburger Kollegen Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) zu beneiden. Der Job als verdeckter Ermittler dampft das Privatleben ein auf eine Fernpartie Schach mit dem eigenen Vater. Viel mehr weiß man nicht über das Leben Batus – er legt er sich ja auch mit jeder neuen Identität, in die er schlüpft, ein neues zu. Ein harter Job, ein einsames Leben, sozusagen ein Gegenentwurf zu seiner gut vernetzten NDR-Kollegin Charlotte Lindholm.

Spitzelei unter „Schafen“

Uwe Kohnau (Peter Jordan) und Cenk Batu (Mehmet Kurtulus).
Uwe Kohnau (Peter Jordan) und Cenk Batu (Mehmet Kurtulus). © NDR/Georges Pauly

In der Folge „Vergissmeinnicht“ nun soll er einen Industriespion im Luftfahrtunternehmen Apat entlarven. Unter dem Namen „Sinan Afra“ ist er als Pressereferent in den Betrieb eingeschleust worden. Er nimmt an Besprechungen teil, hackt sich in den Computer seines Chefs ein und hält sich die unterkühlten Kollegen mit distanzierter Nüchternheit vom Leibe. Afra ist der wohl am wenigsten joviale Pressesprecher, der je in solcher Position anzutreffen war.

Seinen Vorgesetzten bei Apat, Holger Lichtenhagen, kümmert das wenig. Im Gegenteil, Afras Einzelgängertum hebt ihn aus der Masse der Mitarbeiter heraus. „Schafe“ nennt der Chef sie verächtlich. Dieser Afra hingegen, der ist anders. Lichtenhagen drängt ihm eine Beförderung zum persönlichen Referenten förmlich auf und schiebt die Einladung zum Abendessen gleich hinterher. Doch dazu kommt es nicht mehr; die Drehbuchautoren (Christoph Darmstädt, Tim Krause) haben Lichtenhagen ein jähes Ende zugedacht. Batu glaubt nicht an Selbstmord.

Batu will ausbrechen

Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) und Mia (Desiree Nosbusch).
Cenk Batu (Mehmet Kurtulus) und Mia (Desiree Nosbusch). © NDR/Georges Pauly

Doch hier rennt der Ermittler gegen eine kollegiale Wand. Er solle die undichte Stelle finden, raunzt ihn sein Führungsoffizier Uwe Kohnau (Peter Jordan) an, und keinen möglichen Mord aufklären. Doch Batu ist nicht zu bremsen. Und dann rutscht er auch noch in eine Affäre mit Mia Andergast (gespielt von Désirée Nosbusch, im wahren Leben Kurtulus’ Lebensgefährtin), die sich als Tochter des Toten ausgibt. Hand in Hand jagen die beiden Hotelgänge hinunter – und Batu ist einen Augenblick lang bereit, alle Brücken abzureißen. Doch, ach, es soll nicht sein. Am Schluss schlüpft Cen Batu aus Sinan Afras Haut und ist so einsam wie eh und je.

Er kann einen wirklich leid tun, dieser Mann. Höchst freudlos wirkt er, in seinem verglasten Appartement, das er als Afra bewohnt. Lächeln ist ihm fremd, Gefühlsausbrüche sind undenkbar. Dass Misstrauen seiner Apat-„Kollegen“ perlt völlig ab an diesem Unbewegten. Nur Mia taut den frostigen Kerl ein wenig auf. Ganz klar wird es allerdings nicht, wie sich dieses Disziplingenie am Ende so vergessen kann, dass es zu einer Affäre zwischen den beiden kommt.

Prinzip Verschwiegenheit

Da liegt auch eine der Schwachstellen dieses insgesamt gelungenen „Tatorts“. Die Macher betonen gern, wie spannend dieser Batu für sie ist – endlich mal eine Figur mit Geheimnissen! Es darf gern einige Folgen dauern, bis der Zuschauer diesen anpassungsfähigen Undercover-Ermittler ein wenig näher kennen lernt. Was angesichts aller privaten Kommissars-Malaise in anderen Tatorten allerdings wohltuend wäre, wenn die Verantwortlichen die Karten nicht ganz so eng an der Brust hielten.

Batu tritt auf als Kommissar ohne Eigenschaften. Und dann wühlt er sich auch noch durch eine komplexe Materie, die für den Zuschauer kaum über Handlung erfahrbar wird, sondern nur durch äußerst knapp dahin geworfene Dialoge. Der völlige Verzicht auf Actionszenen tut dem Film zwar gut, Spannung kommt auch ohne hirnlose Ballerei und spektakulär konstruierte Unfälle auf. Stattdessen spielt sich hier vieles in den Köpfen der Figuren ab. Schön wäre es aber, wenn die den Zuschauer hin und wieder teilhaben ließen an ihren Gedanken. Unter diesen Umständen ist Eigeninitiative angesagt: Wer sich nicht völlig verlieren will im Geflecht aus Personen und Motiven, der stellt am Sonntagabend das Telefon ab, spitzt ab 20.15 Uhr die Ohren und bewegt sich 90 Minuten nicht mehr von der Stelle.