Essen. Der knallharte Geschäftsmann, Macho vor dem Herrn und Partylöwe ist schwach geworden, verletzlich und unsicher. Rudi Assauer hat Alzheimer. Nun strahlte das ZDF die “37 Grad“-Reportage einer Filmemacherin aus, die den Ex-Schalke-Manager ein Jahr lang begleitet hat. Zu sehen ist ein von der Krankheit Gezeichneter. Aber auch ein Mann, der schon immer ein Kämpfer war und jetzt nicht aufgeben will.

Welches Jahr wir haben, welchen Monat und welchen Tag, das kann Rudi Assauer in diesem Moment partout nicht sagen. Da kann er sich noch so sehr das Hirn zermartern, es will ihm einfach nicht einfallen. Jetzt soll er beim Gedächtnistraining die Uhr auf ein weißes Blatt Papier zeichnen. Der Kreis ist schon aufgemalt. Wie ein Schuljunge, der in der Klausur eine komplizierte Matheaufgabe zu lösen hat, lässt Assauer den Kopf hängen. Dann schreibt er unsicher ein paar Zahlen in den Kreis. 0 in die untere Hälfte, dorthin, wo die 6 stehen müsste. 17, 18, 19 und 20 im Halbkreis nach oben.

Es ist die erschütterndste Szene in der Dokumentation "Rudi Assauer - Ich will mich nicht vergessen" von Filmemacherin Stephanie Schmidt, die das ZDF in der Reportagereihe „37 Grad“ am späten Dienstagabend ausstrahlte. Sie zeigt, wie es wirklich um den an Alzheimer erkrankten Ex-Fußball-Manager bestellt ist. Der knallharte Geschäftsmann, der frühere Partylöwe und Macho vor dem Herrn ist schwach geworden, verletzlich und unsicher.

Nur Assauers engste Vertraute wussten von der Krankheit

Zu einer Zeit, als nur Assauers engste Vertraute von seiner Krankheit wussten, hat Schmidt die Schalke-Legende ein Jahr lang begleitet. Sie ist Assauer dabei sehr nahe gekommen.

„Ich vergesse manchmal Dinge, die sind unglaublich. Da kann ich mir nur noch an den Kopf fassen und sagen, okay, Assauer, so doof kannst du doch gar nicht sein, dass du so Fehler machst.“

Da sind Lücken, wo Namen sein sollten, Leerstellen, wo Erinnerungen hingehören. Sie werden noch größer, diese Leerstellen und Lücken. Assauer verliert jeden Tag ein Stück von sich selbst. Die Reportage zeigt, wie er von einer wichtigen Spielerverpflichtung erzählen will, die er seinerzeit als Schalke-Manager eingefädelt hat. Das passende Foto zur Geschichte steht vor ihm im Regal. Aber wie, zum Teufel, hieß der Spieler noch gleich? Später im Film ist es der Name der Tochter, an den sich der Kranke nicht erinnern kann. Betty. Mit äußerster Kraft ringt sich Assauer die zwei Silben ab. Irgendwann wird ihm auch das nicht mehr gelingen.

Assauers Verfassung ist tagesabhängig

Assauers Gedächtnisleistung, so zeigt es die aufwühlende Reportage, ist tagesabhängig. Es gibt Szenen, da wirkt er beinahe wie früher. Wenn er Tischfußball spielt mit seiner Tochter und ihren Torwart zurück in die Grenzen des 16-Meter-Raums weist. Seine Stimme bekommt richtig Klang, als er alte Zeitungsartikel vorliest. Die Reportage enthält aber auch Momente, in denen der 67-Jährige nur verloren wirkt. Fans kommen vor dem Stadion auf ihn zu, sie wollen Fotos machen. Assauer ist unsicher, ob er sie kennen müsste. Szenenwechsel. Auf dem roten Teppich bei einer Gala hält sich der Ex-Manager mit inhaltslosen Grußfloskeln über Wasser, damit niemand merkt, was mit ihm los ist. „Der ist bestimmt wieder mal besoffen“, dachten vermutlich die, die nicht Bescheid wussten, glaubt Ehefrau Britta. Die Augen ihres Mannes suchen nach Halt.

Auf Szenen, die Assauer vorführen könnten, hat Filmemacherin Schmidt verzichtet. Ursprünglich hatte sie mit der Schalke-Größe eine Reportage über Gelsenkirchen drehen wollen. Bei den ersten Treffen fiel ihr auf, dass etwas nicht stimmte. Nach reiflicher Überlegung willigte Assauer ein, seine Demenz zum Thema des Films zu machen. Das, so erzählt es seine Sekretärin, gab ihm die Möglichkeit, wenn nicht die Kontrolle über seine Krankheit, doch zumindest die über ihr Publikwerden zu behalten. Wegen des riesigen Medienechos auf sein Bekenntnis entschied sich das ZDF, die Ausstrahlung auf den gestrigen Dienstag vorzuziehen.

"37 Grad" bietet 35 intensive Filmminuten

Zu sehen sind 35 intensive Filmminuten, in denen es gelingt, zu zeigen, was die Diagnose Demenz bedeutet, ohne den Erkrankten bloßzustellen. Die Krankheit nimmt Eigenständigkeit und Orientierung. Sie nimmt immer mehr. Sie stellt Freundschaften auf die Probe und ist eine Zerreißprobe für die Familie. Die frische Liebe zur 21 Jahre jüngeren Ehefrau Britta, die Assauer heiratet, als die Krankheit schon ihre Schatten vorauswirft, geht in die Brüche. „Es hat nicht funktioniert. Es hatte keinen Zweck mehr“, sagt der einst so selbstsichere Mann, als er schon ins Haus seiner Tochter gezogen ist.

Keinen Zweck, damit meint Assauer aber nur die Ehe. Unter vieles will der 67-Jährige noch keinen Schlussstrich ziehen. „Selbstmord, ist das ein Gedanke, den Sie auch schon hatten?“ fragt Filmautorin Schmidt am Ende der Reportage. Nein, sagt der unheilbar Kranke. In dieser Bestimmtheit dürften seine Worte vielen der 1,3 Millionen unter Demenz leidenden Menschen in Deutschland und ihren Familien Halt geben. „Die paar Jahre, die wir noch haben, die wollen wir doch auch noch haben.“