Berlin. Der Rücktritt von Generalsekretär Christian Lindner stürzt die FDP in eine Führungskrise. Deshalb muss Parteichef Philipp Rösler nun schnell einen Nachfolger präsentieren. Sonst droht er selbst in dem Chaos unterzugehen, an dem er nicht unschuldig ist.

Sieben Monate nach dem Führungswechsel blickt die FDP erneut in den Abgrund. Generalsekretär Christian Lindner trat am Mittwoch überraschend zurück, nach exakt zwei Jahren im Amt. Der Schritt stürzt die Freidemokraten, die seit Monaten im Umfragetief stecken, in eine Führungskrise. FDP-Politiker in Bund und Ländern reagierten geschockt und fassungslos.

FDP-Chef Philipp Rösler versuchte dennoch, Optimismus zu verbreiten und will noch am Freitag einen Nachfolger benennen. Am selben Tag wird auch der Ausgang des Euro-Mitgliederentscheids bekanntgegeben. Im Gespräch ist nach Medienberichten der bisherige Schatzmeister und Parteivize Patrick Döring. Rösler appellierte an die 65.000 Mitglieder "mit dem notwendigen Mut und Zuversicht in das Jahr 2012 hineinzugehen".

Christian Lindner nennt keine Gründe für seinen Rücktritt

Gründe für seinen Rückzug nannte der 32-jährige Lindner nicht. Er sagte lediglich: "Es gibt den Moment, in dem man seinen Platz freimachen muss, um eine neue Dynamik zu ermöglichen. Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben sich in dieser Einschätzung bestärkt." Damit ließ er Raum für Spekulationen über die Zusammenarbeit mit Rösler. In den vergangenen Wochen hatte zudem der Mitgliederentscheid zum Euro-Rettungschirm die FDP vor eine Zerreißprobe gestellt und die Parteispitze in die Kritik gerückt.

Sein Bundestagsmandat will Lindner behalten. Er werde im Parlament weiter für den politischen Liberalismus kämpfen, versicherte der Politiker, der als Chefstratege maßgeblich das neue Grundsatzprogramm erarbeitet hat. Dieser werde dringender denn je gebraucht, sagte er. "Er hat nur eine politische Heimat, die FDP", schloss Lindner sein kurzes Statement. Fragen ließ er nicht zu.

Parteikollegen von Christian Lindner sind fassungslos

Die Partei reagierte bestürzt. Die bayerische FDP-Vorsitzende und Bundesvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sprach von einem "Schock" für die FDP. Sie wolle mit ihren Parteikollegen nun alles dafür tun, dass die Liberalen "aus dem Tal der Tränen" wieder herausfinden.

Der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki befürchtet, dass der Rücktritt die Debatte über Rösler weiter anheizt. Mit Blick auf die Landtagswahl in seinem Land im Mai 2012 fügte Kubicki im TV-Sender Phoenix hinzu, der Zustand der FDP sei bereits wie eine Bleiweste, jetzt bekomme die Landespartei noch "Betonfüße" dazu. Die FDP müsse wieder ihre Inhalte deutlich machen und dürfe sich nicht mit sich selbst beschäftigen.

Christian Lindner hat am Mittwoch in Berlin seinen Rücktritt als FDP-Generalsekretär erklärt. Dies ist seine Begründung im Wortlaut:

"Meine Damen und Herren, Ich habe heute gegenüber Philipp Rösler in einem persönlichen Gespräch meinen Rücktritt als Generalsekretär erklärt.

Im Anschluss habe ich meinen Landesvorsitzenden Daniel Bahr, meinen Fraktionsvorsitzenden Rainer Brüderle und den Ehrenvorsitzenden Hans-Dietrich Genscher über meine Entscheidung unterrichtet.

Gerade eben habe ich mich von den Mitarbeitern unseres Thomas-Dehler-Hauses verabschiedet.

Auf den Tag genau zwei Jahre erkläre, verteidige ich die Politik der FDP. In schwieriger Zeit habe ich sie mitzugestalten versucht.

Ich bin dankbar für die Zusammenarbeit mit den Bundesvorsitzenden Guido Westerwelle und Philipp Rösler.

Vor allem aber danke ich den vielen Mitgliedern meiner Partei, die mir ihr Vertrauen ausgesprochen haben.

Es gibt den Moment, in dem man seinen Platz freimachen muss, um eine neue Dynamik zu ermöglichen. Die Ereignisse der letzten Tage und Wochen haben mich in dieser Einschätzung bestärkt.

Meine Erkenntnis hat für mich zur Konsequenz, dass ich aus Respekt vor meiner Partei und vor meinem eigenen Engagement für die liberale Sache mein Amt niederlege.

Dadurch ermögliche ich es dem FDP-Bundesvorsitzenden Philipp Rösler, die wichtige Bundestagswahl 2013 mit einem neuen Generalsekretär vorzubereiten und damit auch mit neuen Impulsen für die FDP zu einem Erfolg zu machen.

Als Mitglied des Deutschen Bundestages werde ich weiter aus Überzeugung für den politischen Liberalismus kämpfen. Er wird in Deutschland dringender denn je gebraucht und er hat nur eine politische Heimat: die FDP.

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Euro-Kritiker Burkhard Hirsch findet Lindners Rücktritt "nicht richtig"

Auch in Lindners Landesverband Nordrhein-Westfalen herrscht Fassungslosigkeit. Landeschef und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr bedauerte den Rücktritt, der Fraktionsvorsitzende der FDP im Düsseldorfer Landtag, Gerhard Papke, wurde deutlicher. Er wertete den Rücktritt als "substanzielle Schwächung in der Führung der FDP". Lindner scheide erhobenen Hauptes aus dem Amt. Die FDP werde auch in Zukunft auf Lindners "außergewöhnliche Fähigkeiten nicht verzichten können". Lindner war 2004 bis 2010 Landesgeneralsekretär an Rhein und Ruhr.

Der Mit-Initiator des Euro-Mitgliederentscheids, Burkhard Hirsch, hält den Schritt Lindners "nicht für richtig" und hofft, dass dieser weiter der Partei zur Verfügung steht. Der Altliberale Gerhart Baum forderte im TV-Sender Phoenix eine Neuwahl des gesamten FDP-Präsidiums. Er wertete Lindners Rücktritt als Misstrauensvotum gegen Rösler.

Ost-FDP fürchtet Existenzkrise der Partei

Der Sprecher der ostdeutschen FDP-Landesgruppe im Bundestag, Joachim Günther, sieht seine Partei gar in einer Existenzkrise. "Es geht um das Überleben der Partei und nicht um die Eitelkeit einzelner Personen", sagte Günther in Plauen.

Mehrere Zeitungen berichteten über Schatzmeister Patrick Döring als möglichen Nachfolge-Kandidaten. Dem entgegen steht allerdings, dass Döring wie Rösler aus Niedersachsen kommt und der NRW-Landesverband Ansprüche auf den Generalsekretärsposten erheben könnte.

Rösler will mit Mut und Zuversicht das Jahr 2012

Rösler bedauerte den Rücktritt Lindners und dankte ihm für dessen "hervorragende" Arbeit im Namen aller Parteimitglieder. Lindner habe sich große Verdienste erworben und die FDP durch die Arbeit am Grundsatzprogramm inhaltlich vorangebracht.

Mit dem Mitgliederentscheid gebe es am Freitag klare inhaltliche Positionierung der Partei. Das gebe der FDP die Chance, danach mit dem notwendigen Zusammenhalt nach vorn zu schauen, sagte Rösler. Er fügte hinzu: "Ich bin fest davon überzeugt, dass es gelingen wird, mit all unseres 65.000 Mitgliedern, mit dem notwendigen Mut und der Zuversicht in das Jahr 2012 hineinzugehen." (dapd)