Bayreuth. Kein anderer Bühnenbildner hat bei den Bayreuther Festspielen die Vertikale so genutzt wie er: Wenn Aleksandar Denic die Architektur zu Frank Castorfs Wagner-Inszenierung liefert, dann staunt das Publikum. Er visualisiert Macht und Gier, wandert zwischen Welten und Zeiten. Ein Porträt.
Der Mann ist ein Wanderer zwischen Welten und Zeiten. Für den Bayreuther "Ring" hat Aleksandar Denic himmelstürmende Räume geschaffen, und selbst die Kritiker von Frank Castorfs Wagner-Inszenierung lernen angesichts der Kraft und Magie dieser großen Bilder das Staunen.
Wie kommt man auf solche Einfälle? Das haben wir Prof. Denic auf dem Grünen Hügel gefragt. Kinofreunden ist der Belgrader ja kein Unbekannter, da er für zahlreiche preisgekrönte Filme unter anderem von Emir Kusturica die Ausstattung entworfen hat. Neben der Theaterarbeit wirkt er als Architekt und Bildender Künstler.
Von der Liebe zum Unerwarteten
Aleksandar Denic liebt das Unerwartete. "Wenn man nach Afrika fährt und vorher schon alles weiß, was einen dort erwartet, hat man keinen Grund mehr hinzufahren." Er möchte Auge und Seele gleichermaßen herausfordern: "Unsere moderne Gesellschaft ist überfrachtet mit Medien, das ist ein Problem. Alles wird einem in Häppchen serviert, niemand ist mehr gezwungen, über irgendetwas nachzudenken. Man muss sich aber überraschen lassen können, sonst wird man zum Sklaven von Vorurteilen."
Noch nie hat ein Bühnenbildner in Bayreuth die Vertikale derart genutzt, die Portalhöhe von knapp 12 Metern so vollständig ausgereizt. Damit entsteht eine Architektur, die Macht und Gier visualisiert - das mehrstöckige Motel im "Rheingold", die Kombination aus Kirche und Förderturm in der "Walküre", die eingerüstete Felsenwand im "Siegfried" mit den Köpfen von Marx, Lenin, Stalin und Mao, die U-Bahn-Station Berlin Alexanderplatz, die ostdeutsche "Plaste und Elaste"-Fabrikfassade und die New Yorker Börse in der "Götterdämmerung".
Musik in Architektur umgesetzt
"Vor dem ,Ring' kannte ich das Bayreuther Festspielhaus nicht. Vom Standpunkt der Architektur aus habe ich mich gefragt, warum Wagner wohl ein solch hohes Portal gewollt hat, wenn das keiner nutzt", erläutert Denic. "Für mich hat Wagners Musik genau diese strenge vertikale Struktur, die ich hier in Architektur übersetze."
Im Schlagschatten der überwältigenden Vertikalen stehen alltägliche, sogar schäbige Raumsituationen. Die Dönerbude in der "Götterdämmerung" zum Beispiel, die von trostlosen Hinterhof-Brandmauern erdrückt wird. Und natürlich der silberne Wohnwagen, der sich wie ein Leitmotiv durch die "Ring"-Erzählung zieht. "Der Trailer steht für die endlose Reise, aber auch für den Wunsch nach Geborgenheit, nach einem sicheren Ort."
Auch interessant
Nicht einmal das nebensächlichste Detail dieser mit barocker Fülle ausgestatteten Installationen ist vorgetäuscht. Die Gläser im "Golden Motel" sind genauso echt wie die Spaghettiportionen im "Siegfried". Aleksandar Denic zielt damit direkt auf jenen Teil der Psyche, der für die erinnerten Emotionen zuständig ist. "Es hat mich ungemein interessiert, diese Strukturen zu entwerfen, die sehr vertraut aussehen, es aber tatsächlich nicht sind. Das ist eine gute Angel, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich zu ziehen. Durch solche Allegorien kann ich meine Geschichte erzählen."
Das Spiel mit der bewussten Irritation
Zur bewussten Irritation gehört es für Denic, dem Faktor Zeit seltsame Dinge zustoßen zu lassen. Die Zeit verläuft nicht linear, sondern in Sprüngen und Ellipsen. Das ist abgeleitet vom "Ring"-Motiv - so wie die Drehbühne die "Ring"-Metapher physisch aufgreift.
Die Döner-Bude von Gunther und Gutrune kann zum Beispiel niemals im Ostberlin der 1950er-Jahre existiert haben. "Alles zusammen sind das trotz der familiären Anmutung unmögliche Strukturen", schildert Denic. Und das Unmögliche ist ja der Motor der Oper, gerade bei Wagner: "Haben Sie schon mal einen Drachen gesehen?"
Bei einem Filmfestival in Belgrad ist Aleksandar Denic erstmals mit Wagners Musik in Berührung gekommen, durch Francis Ford Coppolas "Apocalypse Now". Seine erste Wagner-Arbeit hat ihn dann direkt nach Bayreuth geführt - und zum "Ring", jenem monströsen Vierteiler, der reihenweise Regisseure und Bühnenbildner in die Knie zwingt. Die Zusammenarbeit mit Frank Castorf schätzt er sehr. "Frank und ich, wir suchen beide Intuition. Ich bin glücklich, dass mein Bühnenbild die Spielfläche ist, die Frank mit seinen Imaginationen füllen kann."
Richard Wagner wird den Künstler weiter beschäftigen. Mit Regisseur David Bösch inszeniert Aleksandar Denic in München demnächst die "Meistersinger", wieder ein Schwerstkaliber. Angst hat der Bühnenbildner davor nicht. "Ich denke manchmal, die ,Meistersinger' sind ein typisches Hollywood-Filmskript. Der Vater ist umgeben von einer Bande, die Tochter ist in einer anderen Bande, in der ein böser Junge nicht nach den Regeln spielen will, und dann gibt es noch den tapferen Außenseiter."