Bayreuth. . Götterglück in Bayreuth mit Swimmingpool und Wäschespinne: Wotan und sein Clan hausen in einem Motel an der Route 66. Selten gab es eine so spektakuläre “Rheingold“-Architektur.

Wotan regiert seinen Götterclan wie ein Hollywood-Pate. Das macht ihn kaum sympathisch, deshalb rücken in Frank Castorfs "Rheingold" endlich einmal die Außenseiter in den Mittelpunkt. Zum Auftakt der zweiten "Ring"-Runde in Bayreuth gab es viele Bravos und nur ganz vereinzelte Buh-Rufe. Denn Castorfs "Rheingold" lehrt das Publikum das Staunen.

Die Götter haben ihre Residenz in einem Motel mit angeschlossener Tankstelle an der Route 66 in den USA. Man könnte auch altmodisch Petrolarium sagen, denn wir befinden uns im Texas der 1970er Ölboom-Jahre. Öl dient bei Castorf als Chiffre für die Gier, die das "Ring"-Drama befeuert.

Der Chic ist eher schäbig

Trotz des göttlichen Personals ist der Chic eher schäbig. Die Rheintöchter hängen brav ihre Wäsche an die Spinne, während Alberich sich eine Wurst vom Grill klaut und den Senf dazu direkt aus der Flasche schluckt. Bühnenbildner Aleksandar Denic hat mit dieser Drehbühnen-Installation wohl die aufsehenerregendste "Rheingold"-Architektur seit langem geschaffen.

Die Figuren können als Anspielungen auf Hollywood-Filme gelesen werden, das ist eine Verbeugung vor Wagner, denn gutes Kino ist Oper und nicht umgekehrt. Und es funktioniert: Die Figuren und ihre Motivationen werden präzise gezeichnet, der Spaß kommt auch nicht zu kurz.

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Während die Drehbühne das Motel in allen Perspektiven darstellt, verdoppelt der riesige Bildschirm die Handlung. So erlebt man "Götters" simultan und hinter den Kulissen. Gleichzeitig ist das ein ziemlich hintersinniges Regie-Mittel, denn dem Auge fällt es schwer, sich zu fokussieren. Selbst in der Opern-Hochburg Bayreuth erliegt der versierte Hörer irgendwann dem Reiz des Bildschirms, während auf der Bühne reale Menschlein singen. So bringt die Regie das Publikum bewusst in Aufmerksamkeitskonflikte.

Nicht Wotan ist die prägende Figur, sondern Alberich, der sich mit seiner Quietscheente liebesbedürftig im Liegestuhl räkelt, und dann getreten und gequält beschließt, auch mal wer zu werden. Der Düsseldorfer Bassbariton Oleg Bryjak vermittelt in großartiger Weise Zorn, Anmaßung und Verzweiflung. Sein Alberich ist keine Type, sondern ein bis ins Innerste gedemütigter Charakter. Demütigungen sind gefährlich, nur begreift Wotan das nicht. Mit seiner Hunnen-Frisur weist Alberich schon auf die "Götterdämmerung" und Hagen voraus. Elisabet Strid ist als Freia eine stimmschöne Barbarella im Latex-Catsuit; Wolfgang Koch singt den Wotan mit sehr vielen menschlichen Farben, passend zu der Figur, die hier schon ziemlich kaputt ist. Mirella Hagen, Julia Rutigliano und Okka von der Damerau sind listige Rheintöchter, die das Wasser gerne mal mit dem Nobelschlitten vertauschen. Burkhard Ulrich singt den Mime als nervösen, geknechteten Streber mit Brecht-Brille; Norbert Ernst ist ein Loge mit Benzinfeuerzeug und einschmeichelndem Tenor.

Vor allem ist dieser "Ring"-Auftakt aber eine musikalische Sensation, denn Kirill Petrenko stellt wunderbare Dinge mit der Partitur an. Noch nie hat das Bayreuther Festspielorchester so leise geklungen, und Petrenko holt raffiniert psychologisierend ein verblüffendes Spektrum an Farben und Zwischentönen aus dem Graben.

Zwei Motive werden im "Rheingold" eingeführt, die den "Ring" in der Folge wie ein Leitmotiv begleiten. Es gibt einen stummen Zeugen, der das ganze Theater beobachtet und schließlich mit schwulen Cowboys und Freaks eine Party feiert, während die Götter in Walhall einmarschieren. Und es gibt einen silbernen Wohnwagen, Nibelheim und Schmiede zugleich. Der Trailer symbolisiert den Wunsch nach ein bisschen Geborgenheit und steht natürlich als Bild für das Wanderschicksal, das die Protagonisten von nun an bis zum feurigen Ende ereilen wird.