Essen. Ein Stammgast, dessen Anhängerschar wächst: Der nobel-zurückhaltende Star-Pianist Grigory Sokolov aus Russland gastierte beim Klavier-Festival Ruhr in der Essener Philharmonie. Er glänzte als Ausleuchter des großen Chopin-Kosmos. Und ließ die Verwandtschaft zwischen Chopin und Schubert spüren.
Um das Geheimnis seines Chopin-Spiels zu ergründen, lohnt der Blick auf Grigory Sokolovs Zugabenteil. Schubert-Impromptus sind es zumeist, die der russische Pianist in detailgetreuester Zartheit interpretiert. Und über allem hängt eine fein gesponnene Melancholie, verbunden mit tiefer Weltflucht. Von hier aus betrachtet, erschließt sich der Chopin-Kosmos, den Sokolov vor uns ausbreitet, unmittelbar. Beide Komponisten sind Brüder im Geiste, soll seine Botschaft in der Essener Philharmonie wohl lauten.
Seit mehr als 20 Jahren ist der Russe treuer Gast des Klavier-Festivals Ruhr, und die Zahl seiner Bewunderer hat sich stetig vergrößert. Das Publikum scheint zu lieben, wie sich der Pianist zurücknimmt, die Aura des Geheimnisses um sich webt, wie er mit der Musik verschmilzt. Sein jüngster Auftritt, der also dem Werk Chopins aus dem Geiste Schuberts gewidmet ist, gilt allein der poetischen Aussage. Dabei ist jede grollende, herzergreifende, oder illustrative Figuration wichtig. Sokolov zelebriert, nutzt harmonische Reibungen als dramatisches Element und musiziert mit unglaublichem Klanggespür.
Der Welt abhanden gekommen
All das wird zunächst in Chopins 3. Sonate zu den tragenden Säulen der Interpretation. Der Pianist vermeidet die Salon-Sentimentalität, und wenn er das Largo der Sonate in jeder Phrasierung zu uns sprechen lässt, festigt sich der Eindruck, dass hier des Komponisten zarte Seele freigelegt wird. So schön wie brüchig ist Chopins Musik, manches verweist bereits auf die späten Klavierstücke Franz Liszts.
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Das setzt sich in Sokolovs Deutung von zehn ausgewählten Mazurkas fort. Die Stilisierung polnischer Volkstänze als tränenverhangener Blick Chopins auf das geschundene Vaterland. Des Komponisten „Style brillante“ ist nur Mittel der poetischen Aussage. Wie aus dem Nichts klingt die Musik auf, strukturiert sich im Dreiertakt, um alsbald in tiefster Melancholie zu erlöschen. Chopin ist der Welt abhanden gekommen – wie Schubert.