Dortmund. . Was er leistet, grenzt ans Wunderbare: Nachdem er zehn Jahre lang nicht mehr beim Klavier-Festival Ruhr gastiert hat, versetzte der russische Starpianist das Dortmunder Konzerthaus in Verzückung. Seine ohnehin legendäre Spielkultur hat Kissin noch weiter verfeinert.

Zehn Jahre hat sich Evgenij Kissin nicht beim Klavier-Festival sehen lassen. An der jungenhaften Ausstrahlung des einstigen Wunderkinds hat sich nicht viel geändert, an seiner musikalischen Reife noch weniger. Doch im Laufe der letzten Jahre schien er seine ohnehin legendäre Spielkultur noch weiter verfeinert zu haben.

Davon konnte man sich jetzt bei seinem Auftritt im nahezu voll besetzten Dortmunder Konzerthaus in reichem Maße überzeugen. Mit Schubert und Scriabin standen zwei denkbar unterschiedliche Komponisten auf dem Programm, deren Einschätzung immer noch mit etlichen Klischees behaftet ist. Davon will Kissin nichts wissen. Ihn interessieren weder der vermeintliche Wiener Vororts-Charme Schuberts noch die angeblich mystischen Gloriolen in der Musik Scriabins.

Er verwechselt Kraft nicht mit Gewalt

Die „Gasteiner“ Sonate D 850 gehört nicht nur zu den längsten, sondern auch zu den formal eigenwilligsten Werken Schuberts. Dem energisch vorwärtsdrängenden Kopfsatz verlieh Kissin durch den ungewöhnlich markanten Einsatz der linken Hand kraftvolle Akzente, ohne Kraft mit Gewalt zu verwechseln.

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Die dynamischen Entwicklungen und den unregelmäßigen Verlauf der Energieflüsse formte Kissin mit wacher Kontrolle, gleichwohl emotional bewegt und bewegend. Die melodischen Preziosen des langsamen Satzes erklangen in kristallin reiner Transparenz. Kein Ton wirkte aufgeweicht, keine Phrase sentimental verschleiert. Perfektion in Reinkultur, ohne die menschliche Wärme des Ausdrucks zu vernachlässigen.

Unerschöpfliche Kunst der Differenzierung

Mit Kissins schier unerschöpflich differenzierter Anschlagspalette präsentierten sich auch die Interpretationen der 2. Sonate sowie einer Etüden-Auswahl von Alexander Scriabin als Offenbarung filigraner Pianistik. Was er allein an Farbschattierungen mit der linken Hand hervorzaubert, wie schattenhaft zart und dennoch ausgefeilt bis in die kleinste Note er die Bassläufe zum Klingen bringt, grenzt ans Wunderbare. Und wie er diese Wunderwerke der linken Hand mit den klar profilierten Melodieverläufen der Rechten in Einklang bringt: Das ist in dieser Vollendung, nicht nur bei Scriabin, selten zu erleben.

Das Publikum hielt es am Ende nicht lange auf den Stühlen und Kissin bedankte sich mit Zugaben von Bach, Scriabin und Chopin, die allesamt den Ausnahmerang des Pianisten bestätigten.