Mülheim. . “Alltag & Ekstase“ von Rebekka Kricheldorf, uraufgeführt am Deutschen Theater Berlin, und “Das Archiv des Unvollständigen“ von Laura de Weck und Thom Luz, uraufgeführt bei den Ruhrfestspielen, traten bei den Stücke-Tagen gegeneinander an. Punktsieg für “Alltag & Ekstase“.

Wenn uns der „Stücke“-Wettbewerb der Mülheimer Theatertage in diesem Jahr eines beweist, dann dass es unter all den szenischen Experimenten der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik auch noch echte Stücke gibt. Mit klar umrissenen Charakteren, nachvollziehbaren Handlungssträngen und pointierten Dialogen. Der Autorin Rebekka Kricheldorf, vor neun Jahren schon einmal in Mülheim vertreten, ist so etwas mit „Alltag & Ekstase“ tatsächlich gelungen.

Ihr Blick auf eine Familie des deutschen Mittelstandes will zeigen, dass die Arbeit an einem perfekten Ego längst den Traum von einem erfüllten, selbstbestimmten Leben abgelöst hat. Bereits im Prolog wird das wunderbar deutlich, wenn ein Pärchen zwecks gemeinsamer Erfahrung den Mount Everest besteigen will, dort aber in einen Touristenstau gerät und am Berg erfriert. Die eigentlichen Zentralfiguren des Stückes haben derweil mehr damit zu tun, sich fortlaufend gegenseitig zu analysieren sowie jede Verhaltensweise schmerzhaft offen zu diskutieren. Zu schweigen ist bereits verdächtig in dieser Gesellschaft, bei der das „Ficktempo“ des Lovers am Frühstückstisch genau so thematisiert wird wie die lebensverlängernde Wirkung von Meeresalgen.

Süffig aufbereitet

Daniela Löffner hat diesen Hang zum Sprechdurchfall in ihrer Uraufführung am Deutschen Theater Berlin sehr süffig aufbereitet, wobei Kricheldorfs Dialoge mit ihrem treffsicheren Sprachwitz ungemein behilflich sind. Vor allem dann, wenn der Japaner Takeshi auftaucht und es zum Clash der Kulturen kommt. Der Gast aus Fernost, Liebhaber des zur Homosexualität konvertierten Best-Ager-Vaters, versteht unter deutscher Kultur vor allem Karneval, Oktoberfest und Herrenclubs mit nackten Damen. Und Sohn Janne, der mit knapp 40 noch immer nichts erreicht hat, findet sich plötzlich weitab von Öko-Deutschland in Lederhosen im Bierzelt wieder.

Nach solch kraftvollen Szenen wirkt „Archiv des Unvollständigen“ von Laura de Weck und Thom Luz (Regie) derart zart und verletzlich, dass man es eigentlich schützen möchte – wenn es einem nicht so schwer gemacht würde. Hier sind wir wieder ganz im Gegenwartstheater: Fünf Akteure bewegen sich in einem unübersichtlichen Studio, ganz beseelt von der Aufgabe, den Zuschauer an das Ende der Sprache zu führen, an jenen Punkt, wo eigentlich nur noch Musik und Gesang weiterhelfen.

Also konfrontieren sie uns mit kurzen Szenen, in denen es um Unvoll­endetes geht, mal fragmentarisch, mal angedeutet, mal ungesagt geblieben. Das hat seine Momente, vor allem weil die Schauspieler vom Oldenburgischen Staatstheater mit großer Leidenschaft bei der Sache sind. Doch die Begeisterung der Kritik bei der Uraufführung vor einem Jahr bei den Ruhrfestspielen will sich bei den „Stücken“ nicht so ganz mitteilen. Zu prätentiös, zu geschmäcklerisch wirkt vieles in diesem hingetupften Vorhaben, dessen 95 Minuten einem doch lang werden.