Essen. . Für das Essener Schauspiel macht Konstanze Lauterbach aus der klassischen Tragödie des Euripides eine ur-menschliche Angelegenheit. Janina Sachau ist darin schon von ihrer Statur her ein Furie mit Anmut, ein Muttermonster von höchster Zerbrechlichkeit. Und am Ende gibt es eine stille, starke Geste.

Am Ende diesen eindrucksvollen Griechen-Abends wartet kein göttlich gesandtes Fluchtgefährt auf Medea. Hier gibt es kein Entrinnen, kein Weglaufen vor der unfassbarsten aller Taten, keine mythische Überhöhung. Und auch den König Ägeus, der dieser Kindsmörderin bei Euripides noch Asyl anbietet, hat Konstanze Lauterbach in ihrer Inszenierung des antiken Stoffes am Schauspiel Essen konsequent gestrichen. Ihre Medea ist eine Frau, die sich ganz ohne Netz und doppelten Boden tief in den Abgrund der Gefühle gestürzt hat.

Ihr erstes markerschütterndes Weh und Ach kommt aus dem Bühnenunterboden wie aus einer Gruft. Janina Sachau ist die Medea und sie macht diese grausamste Frauenfigur der griechischen Mythologie schon von ihrer Statur her zu einer Furie mit Anmut, zu einem Muttermonster von höchster Zerbrechlichkeit. Alles, was sie an diesem Abend von sich verausgabt, ist zügellose Liebestollwut, bis aufs Blut besonnene Radikalität und porentiefe Pein. Ihre Familie hat sie verraten, den Bruder getötet und aus besinnungsloser Liebe zu Jason all ihre Kunst und Klugheit, ihre Herz- und Zauberkräfte für diesen Mann eingesetzt, der das Goldene Vlies wollte und die Macht und das neue Leben in Korinth. In der Fremde. Mit einer neuen Frau. Ohne Medea. Die nun eine Verstoßene wird, Erniedrigte, Barbarin und blutige Rächerin. Mörderin ihrer eigenen Söhne. Als Strafe für den Verrat ihres untreuen Mannes.

Maßloser Hass aus maßloser Liebe entstanden

Konstanze Lauterbach tut viel, manchmal auch ein bisschen zu viel, um diese Figur nahbar zu machen. Die geschmeidige Übersetzung von Peter Krumme kollidiert gelegentlich mit den vielen Wehs und Achs, die nur Ines Krugs Amme im hohen, herzerweichenende Tragödienton über die Lippen gehen. Jan Pröhls König Kreon ist ein zeitloser Strippenzieher im Anzug, Floriane Kleinpaß’ Königstochter Kreusa erscheint wie eine Marie Antoinette der Antike. Und der Chor der Korinthischen Frauen in seinen Arbeitskitteln ruft Buh, wenn der opportunistische Karrieristen-Gatte Jason, der bei Thomas Büchel schon alles Heldenhafte verloren hat, seinen Ehebruch verteidigt.

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Aber das bleiben Nebenkriegsschauplätze in einem Kampf, den Büchel und Sachau als zeitlose Hochleistungs-Ehekrieger austragen, die sich nicht nur im körperlichen Clinch bis aufs Äußerste verausgaben. Auf Ann Heines karg möblierter Zwei-Welten-Bühne zwischen Königshaus und Armensiedlung zeigt Lauterbach nicht nur die Chronik einer ungeheuerlichen Tat. Sie zeigt auch, dass dieser maßlose Hass nur aus maßloser Liebe entstanden sein kann. Gelegentlich webt sie dem Euripides-Stoff Elemente aus Tom Lanoyes „Mamma Medea“ ein, die wie die Opern-Klänge als Gruß aus einer anderen Zeit herüberwehen.

Am Ende gibt es kein Blut, keine besudelten Kinderleichen. Nur eine stille, starke Geste, wenn sich Medea den güldenglitzernden Bühnenvorhang stumm und starr wie eine Schleppe um die Hüften wickelt. Von nun an ist sie einsame Königin im eigenen Schmerzensreich.

Termine: 7., 15. März, 3., 12., 13. April. Karten: Tel. 0201-8122-200; www.theater-essen.de