Dortmund. Ein Tanzabend in Dortmund hüpft an Ödön von Horváths Anti-Volksstück vorbei: Der Tanzabend des Xin Peng Wang will in Schönheit leiden, dabei sind Horváths Stücke Bollwerke gegen alles Ästhetische.

Literatur-Ballette stehen auf tönernen Füßen. Wo sich der Tanz per se in Sprachverzicht übt, sind seine erzählerischen Qualitäten extrem gefordert. Doch taugen alle Werke zur Transfomation? Dortmunds jüngste Premiere lässt zweifeln. Von Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ bleiben kaum Schemen. Das wäre im Tanz nicht weiter auffällig, ginge die Annäherung des Ballettdirektors nicht fundamental am Wiener Anti-Volksstück vorbei.

Dessen Heldin Marianne ist ein Mädchen ohne Chancen, die Männer sind fad oder mies, der Kleinbürgermuff der Vorstadt reicht kaum zum Atmen. Ein hilfloses Unglück zwischen unerwünschtem Kind, verlogenen Vertraulichkeiten und (vom Striplokal bis zur Vernunftehe) einem sehnsüchtigen Fortschritt, der Abstieg heißt. Was Horváth in die Exzellenz deutschsprachiger Dramatik geführt hat, ist vor allem eine klug ausgehöhlte Sprache, ein allmächtig scheinendes Formelmonster, an dem das Personal, das aufrichtige wie das verlogene, sich festzuhalten versuchen, da sie allesamt nicht einmal mehr bei sich selbst Verlass finden.

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Und: Horváths Stücke sind Bollwerke gegen alles Ästhetische. Dieser Tanzabend des Xin Peng Wang aber will in Schönheit leiden. Man darf sich nicht wundern, dass sein Oberflächenglanz, der Klassisches zitiert und sich in zeitgenössisch erwartbarer Körpersprache gefällt, das Publikum jubeln lässt. Es sieht viel Liebesleid, wunderschön. Doch ob für den adrett montierten Mix aus Jux und Passion nun Altes Testament oder Uta Danella Pate standen, geschweige denn ein Horváth, fragt sich niemand mehr.

Glamour einer Tanzfilm-Nummer

So ist dieser Abend, den Wangs Dramaturg Christian Baier herbeigeführt hat, vor allem Behauptung und zu Musik von Johann Strauß und etwas Alban Berg in seinen ärgsten Momenten ein Kessel Buntes, dessen Tanzschritte federnd über Horvaths Grab stolzieren. Rüder Kitsch (der Tod als Leierkastenmann!) zählt dazu wie Neckisches, das Horváths beunruhigende Donau-Szenen mit dem gleißenden Glamour einer Tanzfilm-Nummer übertüncht.

Respektable bis gute Solisten (Marianne: Monica Fotescu-Uta) und ein spielfreudiges (wenn auch im Synchronen steigerungsfähiges) Corps de Ballet waschen ihre Füße in Unschuld. Frank Fellmanns Bühne schenkt ihnen asketisch formulierten Raum: Ein messerscharf sich öffnender Sichtschlitz nur gibt den Blick frei auf Sehnsüchte und Katastrophe von Wachau bis Kindermord. Dortmunds Philharmoniker hört man unter Motonori Kobayashi in guter Form. Sie ehren einen sein Thema verfehlenden Tanzabend, der im Kopf, nicht aber auf der Szene funktioniert. Diese Choreografie würde einen Abgrund nicht einmal spüren, wenn sie hineinfiele.