Wuppertal. Die Lage des Schauspiels Wuppertal wird immer desolater. Und doch gelingen Inszenierungen wie „JR“ – ein künstlerischer Lichtblick im Notstandsgebiet. Tom Peukert , ei­ner gewagt kurzen Adaption des umfangreichen Romans von William Gaddis, der darin die Auswüchse des Kapitalismus im Amerika der 70er-Jahre geißelt.

Berichte über das Theater oder die Oper in Wuppertal sind derzeit Nachrichten aus dem Notstandsgebiet. Noch nirgends sonst in NRW ist die Kultur derart zum Opferlamm einer hoffnungslos überschuldeten Großstadtkasse geworden. Das Schauspielhaus in Elberfeld, 1966 von Heinrich Böll eröffnet und vom einstigen Intendanten Holk Freytag „schönstes Theater der Welt“ genannt, kann bereits seit Beginn der Saison nicht mehr bespielt werden. Nach jahrelangem Aussitzen war die Renovierung unbezahlbar geworden.

Nach dem Roman von William Gaddis

Bisher konnte das Sprechtheater mit seinem auf sieben Schauspieler geschrumpften Ensemble dort noch Studioproduktionen aufführen; mit Größerem muss man schon länger auf das Opernhaus in Barmen ausweichen. Der scheidende Intendant Christian von Treskow, von der Stadt stets als unbequem empfunden, ist zum Mann der Notlösungen geworden. Am Ende seiner Amtszeit muss er sich nun für kleine Inszenierungen wechselnde Räumlichkeiten suchen.

Dass unter neuer Führung nach der Sommerpause alles besser würde, kann man nicht behaupten. Zwar wird nun an der Oper eine alte Lagerhalle zum Theaterraum umfunktioniert. Aber der fasst nur 160 Zuschauer. Die aus Wien kommende neue Chefin Susanne Abbrederis (60) musste sich per Vertrag dazu verpflichten, mindestens eine Auslastung von 75 Prozent zu erreichen. Mit dem Ausweichquartier Oper kann sie nicht mehr fest rechnen. Dort soll der neue Intendant Toshiyuki Kamioka erklärt haben, dass sein Haus nicht mehr automatisch zur Verfügung stehe. Kamioka reagiert mit einem künstlerischen Offenbarungseid auf die Finanzkrise: Er will künftig nur noch als Koproduzent oder Einkäufer fertiger Inszenierungen auftreten.

Im Augenblick aber sorgt Christian von Treskow noch für manchen künstlerischen Lichtblick in der Dunkelheit und steht dafür ein, dass hier nicht alles über die Wupper geht. Etwa mit der aktuellen Uraufführung „JR“ von Tom Peukert, ei­ner gewagt kurzen Adaption des umfangreichen Romans von William Gaddis, der darin die Auswüchse des Kapitalismus im Amerika der 70er-Jahre geißelt. Sein Protagonist ist der elfjährige JR Vansant (Andreas Helgi Schmid), ein Sechstklässler mit Rechtschreibschwäche, der sich innerhalb weniger Wochen ein Millionenimperium zusammenspekuliert. Er ist ein manisch Getriebener, mit einem untrüglichen Instinkt für die Spielregeln des Marktes. Anderen wiederum, die er als Helfer einstellt wie den Komponisten Bast (Thomas Braus) und den Schriftsteller Gibbs (Markus Haase), versagt die Schaffenskraft im Angesicht des Geldes.

Regisseur Marcus Lobbes gelingt mit Hilfe seiner Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert ein begeisternder Abend, der seiner nicht abreißen wollenden Sprechpartituren wegen schon sehr viel Konzentration verlangt. Doch wie gegenwärtig er die Siebziger plötzlich aussehen lässt und wie geschickt er Wuppertal hier einbaut, das hat schon was. Im Hintergrund wechseln ständig neue Bilder aus einem Amerika der Vorstädte und der Bankenschluchten, durch die auch mal die Schwebebahn fährt. Und dann ist da der beredte Abbruch der Bühnenarbeiter, die bei noch laufendem Spiel bereits sämtliche Requisiten entfernen. Im Behelfstheater auf der Hinterbühne der Oper bleibt ein Eindruck von Abgewracktem, Brache. Passend, irgendwie.