Essen. . In der Casa des Essener Schauspiels wird aus Wolfgang Herrndorfs erfolgreichem, hochgelobtem Jugendroman „Tschick“ ein Roadmovie mit märchenhaftem Goldrand rund um zwei Edelleute mit brokatem Wams. Es bleibt aber Erzähltheater, das Herz und Hirn erobert.

Wenn es so weitergeht mit der „Tschickomania“ im Lande, dann wird der Buchstabe H wie Herrndorf bald vor dem G wie Goethe stehen – und den „Faust“ als meistgespieltes Stück der Saison ablösen. In der Casa des Schauspiels Essen kann man nun sehen, was die besondere Qualität des mit dem Jugendbuchpreis gerühmten Bestsellers und Bühnenerfolges ausmacht: Aus „Tschick“ lässt sich auch bei hohem Abstraktionsgrad und eigenwilligem Ausstattungskonzept packendes, Herz und Hirn eroberndes Erzähltheater machen.

Wenn sich zwei 14-jährige Jungs in dem Sommerferien mit einem geklauten Lada in die Walachei aufmachen, um die Freiheit zu suchen, die Freundschaft und ein wenig auch sich selbst, ist das durchaus eine Einladung, weit über den Horizont zu blicken. Walachei, das ist schließlich so ein abgefahrener Ort wie „Dingenskirchen“ oder „Jottwede“, findet Maik. Ein Ort, wie gemacht für eine phantastische Reise, für großes Kopfkino.

Ein eigenwillig-goldglitzerndes Roadmovie

In Essen lassen Regisseurin Jana Milena Polasek und Bühnenbildnerin Stefanie Grau einen blinkenden Schlosssaal entstehen, mit protzigem Thronsessel, den der Russlanddeutsche Tschick und der wohlstandsverwahrloste Maik auch mal als Fahruntersatz benutzen. So wird aus der hochgelobten Herrndorf-Vorlage ein eigenwillig-goldglitzerndes Roadmovie-Märchen mit Riesenballon. Eines, das die soziale Grundierung, die Geschichte vom Überwinden der gesellschaftlichen Gegensätze, zumindest optisch ausblendet.

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Die jungen Helden, die im Buch so selbstverständlich nach Jeans und Sneakers klingen, verwandeln sich stattdessen in Edelmänner mit Brokat-Wams. Siedlungs-Asi, Klassen-Außenseiter oder Edelmann? Egal! Dank der mitreißenden Spielfreude der Hauptdarsteller kommt die Geschichte schnell in Fahrt und konzentriert sich ganz auf das verworrene Lebens- und Liebesgefühl der zwei Glückssucher und ihrer Begegnung mit dem wunderlichen Müllhalden-Mädchen Isa, das Silvia Weiskopf als smartes Ghettokid in Vogelscheuchen-Verkleidung zu gestalten hat.

Rollenjumping, Stimmungswechsel

Jörg Malchow und Tobias Roth werfen sich dabei mit voller Lust in die Story, bis die komischen Krönchen auf dem Kopf nur noch praktische Schweißfänger sind und die feinsinnigen Herrndorf-Dialoge blinken wie Kronjuwelen. Tobias Roth trifft Maik auf den Punkt, diesen blassen Zauderer mit feinem Witz, Mutter auf Entzug und Vater auf Fremdgang, der vom dreisten Zugriff dieser Naturgewalt Tschick mitgerissen wird, ins Auto, ins Abenteuer, in ein neues Lebensgefühl.

Jörg Malchow spielt den Tschick vital und direkt, in der Draufgängerpose immer noch lebensecht. Und auch die Episodenfiguren werden von beiden wechselseitig mit Leben vollgepumpt. Das Rollenjumping gelingt dabei so mühelos wie die Stimmungswechsel, wenn die leisen Momente der Melancholie umstandslos ins Komische zurückschnacken. Pointiert, verspielt und genau im Ton glänzt dieser „Tschick“ – sogar mit Bühnen-Goldrand.

Karten/Termine: Tel. 0201-8122200. www.theater-essen.de