Oberhausen. . „Hair!“ – die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen widmet sich einem verlockenden Motiv der Kunst von der Antike übers Mittelalter bis heute: 134 Werke spiegeln bis 12. Januar 2014 die Bedeutung des Haars in Geschichte und Gegenwart.
Um den nächstliegenden Kalauer gleich abzuräumen: Diese Ausstellung der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen ist alles andere als an den Haaren herbeigezogen. Das Haar kommt in der Kunst nämlich weit häufiger vor als in der sprichwörtlichen Suppe. Und doch ist Museums-Chefin Christine Vogt die erste, die der Verlockung nachgegangen ist und eine Ausstellung zu diesem Dauerbrenner-Motiv der Kunst von der Antike bis heute zusammengestellt hat.
Seltsam: Das einzelne Haar oder zwei, drei davon werden als störend empfunden – aber viel Haar, wallendes, offenes, gar lockiges in Fülle und ohne Hülle steht für Sex und Macht. Dieses Empfinden ist ein natürlicher Reflex. Deshalb scheren sich Mönche eine Tonsur. Deshalb verstecken Nonnen wie keusche Muslima das Haar. Und deshalb trugen Krieger der Antike und des Mittelalters über dem Helm, der notgedrungen das Haupthaar verdeckte, gern einen pinsel- oder bürstenartigen Helmbusch aus Haaren, vorzugsweise von erledigten Gegnern. Als dem unbesiegbaren Samson das Haar abgeschnitten wurde, weil seine Delila so unvorsichtig war, die Wunderkraft der Mähne auszuplaudern, musste sie erst mal nachwachsen, bis er wieder zu Kräften kam.
Aber warum wird Maria im Mittelalter und später mit offenem, wallenden Haar dargestellt? Hier steht es für Unschuld, für die jungfräuliche Geburt.
Und warum wurde der Jesus-Kopf von Kruzifixen oft mit echtem Menschenhaar
ausgestattet? Weil die Betrachter so bis in die Haarspitzen bei ihren Mitleidsgefühlen gepackt werden und Anteil nehmen sollten.
Und warum gelten Glatzköpfe wie der von Jim Rakete so großartig ins Schwarz-Weiß-Bild gesetzte Jürgen Vogel heute als sexy? Wo sich doch Max Beckmann noch als 37-Jähriger mit Geheimratsecken malte, um sich Goethes Würde und Weisheit zuzuschreiben, wie überhaupt die Glatze stets das Wahrzeichen des Weisen war.
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Wildschöne „Françoise“
So folgt die Ausstellung subtil dem Verdacht, dass es sich bei der Rolle der Haare, beim Empfinden für Mähnen und Locken, Brustpelze und Rotzbremsen um kulturelle Zuschreibungen handeln könnte, um zeitbedingte Prägungen wie das aktuelle Schönheitsideal der Ganzkörperenthaarung.
Shirin Neshats Foto von verschleierten, demonstrierenden Frauen in Teheran, bei denen nur eine Strähne unterm Tschador hervorlugt, legt diesen Verdacht ebenso nahe wie Picassos wildschöne „Françoise“-Lithografie oder Domenico Gnolls monumental gemalter, wie gemeißelter Seitenscheitel in Öl (1968).
Neben alten Meistern wie Tilman Riemenschneider, der Locken aus dem Holz meißeln konnte wie sonst keiner, oder Joos van Cleve, der um 1525 „Jesus und Johannes als Kinder“ mit Kräusellocken ausstattete und so zum Vorläufer des ironischen Puttenveredlers wie Jeff Koons wurde, umfasst die 134 Werke starke Ausstellung viele Arbeiten der aktuellen Kunst, oft von Frauen.
Sie kleiden Kloschüsseln komplett mit Haaren ein, drehen sie zu hornartigen Jagdtrophäen an der Wand, sammeln eigenes Haar im Glas und basteln für fremde, abgeschnittene Zöpfe Etuis (aus Haar!). Sie bauen einen zauberleicht und doch vergänglich wirkenden Friseursalon mit Fetzen von Büttenpapier nach, sie kämmen Wadenhaare auf Männerbeinen zu Umrissen von Frauenakten und basteln sarkastische Schrubber mit halbmeterlangen Strähnen. Das ist mal gelungen, mal daneben. Haarscharf, versteht sich.