Essen. Mit 50.000 Vorstellungen jährlich ist die Theaterlandschaft Deutschland einzigartig. Der Vorstoß des Deutschen Bühnenvereins, sie als immaterielles Weltkulturerbe zu schützen, stößt dennoch nicht überall auf Gegenliebe.

Als die Unesco ihr Siegel des Kulturerbes um den Begriff „immaterielles“ erweiterte, tat sie das aus gutem Grund. Nicht allein Brücken und Kathedralen, Arbeitersiedlungen und Schlösser sollten unter besonderem Schutz stehen. Was aber ist mit dem uruguayischen Tango, von der einzigarten Pfeifsprache La Gomeras ganz zu schweigen? Sie heißt übrigens „El Silbo“, und wenn es nach dem Deutschen Bühnenverein geht, könnten Theater von Plauen bis Passau ihr Unesco-Nachbar sein.

Derzeit arbeitet der Verein, Bundesverband deutscher Theater und Orchester, an einem Vorschlag für die Kultusministerkonferenz. Sie wäre die erste Hürde, gibt die Empfehlung weiter. Einhelligen Beifall erntet der Vorschlag nicht. Manchen riecht es nach musealer Einmottung, die deutsche Theater- und Orchesterlandschaft unter Schutz zu stellen. Andere fürchteten, dass die immaterielle Wertschätzung an der realen Bedrohung nicht das Geringste ändere.

50.000 Vorstellungen jährlich

Ohne Fundament ist der Vorstoß des Verbandes nicht: Kein Land der Welt hat in dieser Dichte, Vielfalt und öffentlichen Unterstützung eine historische Theaterlandschaft vorzuweisen. 26 öffentliche allein in Nordrhein-Westfalen, 140 bundesweit, verteilt auf fast 900 Spielstätten. Das macht jährlich 3000 Neuinszenierungen, von der Zauberflöte bis zum Käthchen von Heilbronn, in 50.000 Vorstellungen. Da sind die immer mehr werdenden Festivals und Privattheater noch nicht mitgezählt.

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Seine Wurzeln hat der heute bedrohte Reichtum nicht zuletzt in Fürstentümchen und deutscher Kleinstaaterei. Hielt ein Fürst auf sich, hielt er sich ein Theater. Das konnte die Provinz bestenfalls zur Weltbühne machen. Das berühmteste Beispiel ist Weimar. Herzog Karl-August gewann Goethe für die thüringische Unbedeutendheit. Dass August ohne Erfolg Regimenter gen Belgien führte, ist heute so gut wie vergessen. Als Schutzherren der „Weimarer Klassik“ ist ihm ein Denkmal sicher.

Schauspielnation Deutschland

So verfuhren viele. Georg Wilhelm von Lüneburg verdankt Celle ein Schlosstheater, das zu den schönsten Barockbauten Europas zählt. Deutsche Hoftheater konkurrierten, buhlten um die besten Schauspieler, zahlten Apanagen für Dichter und Komponisten. Die festen Ensembles deutscher Theater haben dort ihre Anfänge. Und das eben keineswegs nur in großen Städten. Die Wiege des deutschen Regietheaters liegt in Meiningen. Dass Deutschland (wie im Fußball auch) eine Schauspielnation ist, hat es dieser Vor-Geschichte zu verdanken.

Vielfalt auf der Welt einzigartig

Auf die Feudal-Gründungen folgten Bürger-Initiativen und Mäzene jener Industrie, die den Geld-Adel bildete. Ein Name wie Friedrich Grillo steht für diese Wende. 1892 schenkte er Essen ein Theater. Erwin Piscator und Bernhard Minetti sollten später dort als Künstler wirken. Hagen zog 1912 mit einem Neubau nach, in Bochum machte die Stadt mitten im Ersten Weltkrieg 1915 aus einem Variete ein seriöses Theater. Nur ein paar Jahre später zählte es zu den ersten in Deutschland.

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Von der Vielfalt, die der Bühnenverein geschützt wissen will, zehrt Deutschland bis heute. Es blieb Theater- und Schauspielernation. Ob der Nimbus des Einzigartigkeiten die einzige Folge einer Unesco-Auszeichnung wäre, wird man fragen dürfen. Wenn es was zu erben gibt, ist ja meist jemand gestorben.

Hintergrund:

Zu Welterbestätten (Aachener Dom, Abu Simbel) und Weltdokumentenerbe (Noten von Beethovens Neunter, Archiv Astrid Lindgrens) wurde das immaterielle Kulturerbe ins Leben gerufen, um gegenständlich nicht fassbare Güter zu schützen. Dazu zählen z.B. Mundarten, Tänze oder Theaterformen. Anerkannt als „Meisterwerke“ sind etwa der polyphone Gesang Bulgariens oder Querhornmusik von der Elfenbeinküste.