Essen. . Er hat das Essener Opernhaus geprägt wie kein anderer. Nun endet Stefan Soltesz’ Zeit als Intendant. Im Gespräch erzählt er von den Anfängen, dem Umgang mit der Politik, plaudert über Provokation und seine Liebe zu Zigaretten.

Eine Rarität in der aktuellen deutschen Theaterlandschaft: 16 Jahre waren Sie Intendant des Aalto-Theaters. Kam Ihnen das kurz vor oder lang?

Stefan Soltesz: Natürlich ist das eine lange Zeit, aber mir sind die ersten zehn Jahre sehr schnell vorgekommen. Jetzt, wo es dem Ende zugeht, denke ich manchmal: Es war doch lang.

Nun, da Sie gehen, trauen wir uns auch zu fragen, was wir den Kettenraucher Soltesz immer haben fragen wollen: Wie stehen Sie einen ersten Parsifal-Aufzug ohne Gauloises durch?

Soltesz: Nicht wahr, komisch, da brauche ich das gar nicht. Auch bei Flügen nach Tokyo leide ich nicht. (steckt sich eine neue Zigarette an)

Gibt es eine Aufführung, an die Sie besonders beglückt denken?

Soltesz: Es geht gar nicht so sehr um die konkrete Aufführung. Es geht mir auch nicht darum, der Wagner- oder der Strauss-Dirigent zu sein; mein großes Glück ist ja, dass ich auch gern die „Csardasfürstin“ dirigiere. Wenn es etwas gibt, was mich beglückt hat, dann etwas anderes. Zum Beispiel, dass wir neun Mal in sieben Wochen Bergs „Lulu“ auf dem Spielplan hatten und mit so einer Oper 75 Prozent Auslastung erzielten. Darauf kann ich stolz sein.

Der Erfolg des Aalto-Theaters, sein nationaler Ruf - das wird Ihnen zugeschrieben. Hatten Sie diese Vision, als Sie angetreten sind?

Soltesz: Als ich kam, haben Menschen gesagt: Na, der wird mit seinen Sänger-Freunden ein paar Galas abfackeln und ansonsten dauernd in der Welt unterwegs sein, um anderswo zu dirigieren, und Essen nebenbei machen.

Diese Stimmen sollten Unrecht behalten. Wahrscheinlich sind Sie sogar rekordverdächtig als dirigierender Intendant vor Ort.

Soltesz: Wenn man Qualität in einem Opernhaus will, ist es ein Unding, dauernd irgendwo herumzujetten. Ich hab sehr wenig auswärts gemacht, ein bisschen Wien und so. Es gab mal ein „MET“-Angebot, da wäre ich dann zwölf Wochen nicht hier gewesen. Undenkbar! Sechs Siebtel der Angebote habe ich abgelehnt. Na, und wenn ich sowieso im Haus bin, dann kann ich ja gleich selbst dirigieren. Es gibt ja Intendanten, die sich eher mit einer Whiskyflasche in ihr Büro verschanzen und vielleicht mal bis an die Seitenbühne wanken. Die können keinen Eindruck vom Funktionieren ihres Hauses bekommen.

Sie haben sich damals den Politikern mit einer klaren Ansage vorgestellt.

Soltesz: Na, man erzählt denen natürlich, was sie hören wollen. Das ist auf der ganzen Welt so. Aber mein Slogan war auch meine Absicht: „Ich will das Haus füllen mit Inhalten, ebenbürtig der Architektur des Hauses.“ Das war schnell formuliert und ein bisschen schwerer einzulösen. Aber es ist dann doch gut gelaufen. Vor allem die Besucherzahl stieg. Das ist dann ein Zeichen, das auch Politiker verstehen.

Die Besucherzahl war aber auch Ihnen persönlich wichtig.

Soltesz: Aber klar, immer. Ich hab immer auf Verkaufszahlen geschaut. Kunst ist schon was Schönes, aber es muss im Einklang mit dem Kaufmännischen stehen. Und es sind doch reichlich Steuergelder, die hier fließen. Das empfand ich am Anfang als richtigen Druck für mich: dieses viele Geld für die Zuschauer und Künstler auch gut anzulegen. Das ist die erste Aufgabe eines Intendanten.

Wer in Deutschland Theaterchef werden will, verhandelt ja nicht gerade mit Insidern. Es liegt im System, dass die entscheidenden Lokalpolitiker eigentlich Zahnärzte, Hausfrauen oder Erdkundelehrer sind...

Soltesz: Vor allem wollen sie einen großen Geist, der innovativ die Welt erobert und doch das Geld zusammenhält. Ich will mal ganz vorsichtig sagen: Ich habe bei diesen Verhandlungen nie das Gefühl gehabt, Leuten gegenüberzusitzen, bei denen ich mich durch ihr Fachwissen oder ihren Durchblick anstrengen musste. Am meisten haben sie bei meiner Bewerbung die Ohren gespitzt, als ich über eine Intendanz wie über einen Tante-Emma-Laden – in Österreich sagt man „Greißler“ – sprach. Da habe ich den Kaufmann hervorgekehrt. Das verstanden sie. Das gefiel. Aber sie waren immer auch tapfer. Sie haben etwas riskiert mit mir. Es gab ein grenzenloses Vertrauen.

Ist das Reizvollste für Kulturpolitiker heute das Einsparen?

Soltesz: So kommt es einem vor. Fairerweise muss man sagen: Die Intendanten der 1970er und 80er Jahre, die haben das Geld regelrecht durch den Schornstein geblasen. Jemand im Parkett sieht nun wirklich nicht, ob die Unterwäsche einer Choristin aus reiner Seide ist oder aus Kunstfaser. Man konnte also sparen. Aber heute ist das Pendel auf der anderen Seite. Die Politiker haben sich richtig ins Sparen verliebt. Die Intendanten nach mir tun mir leid.

Finden Sie, dass das hier eine Kulturregion ist?

Soltesz: Ich kenne natürlich das Klischee vom Ruhrpott: Arbeiterland, Arme-Leute-Gegend. Tatsächlich kenne ich keine Region auf der Welt, die so viele kulturelle Einrichtungen auf so engem Raum besitzt wie das Ruhrgebiet. Aber um ein richtig gutes Theater zu machen, brauchen Sie ein Publikum. Das gibt es zweifelsohne im Ruhrgebiet.

Beschreiben Sie das Publikum!

Soltesz: Das Publikum ist super. Es ist ganz aufmerksam. Es lässt sich polarisieren, polarisieren im positiven Sinn. Sie sind empört, kommen aber dann umso mehr. Das war hier schon immer. Ich glaube, dass Herr Peymann in einsamen Stunden seiner Bochumer Zeit immer noch nachweint.

Die Regie hat Sie immer interessiert. Manche Zuschauer konnten kaum glauben, dass ihr geliebter Dirigent Soltesz derselbe Intendant war, der ihnen einige Regie-Provokationen zumutete.

Soltesz: Ja, komisch, nicht? Ich wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Das hat mich sehr verwundert.

Haben Sie sich jemals eingemischt bei der Regie?

Soltesz: Was es auf der Generalprobe gab, gab es bei allen Aufführungen. Alles andere haben wir vorher geklärt. In Dietrich Hilsdorfs „Carmen“ wird Carmen ja am Ende auf einem Kneipentisch ermordet. Da kommt dann von der Seite ein Besoffener und übergibt sich auf ihr. Ich habe nach der Generalprobe Herrn Hilsdorf gefragt, ob das notwendig sei. Er hat gesagt: Er sei noch nie auf einer Party gewesen, auf der nicht einer alles vollgekotzt hat. Da haben wir es so gelassen. Irgendwann bei der 27. Vorstellung fiel dann der Statist aus, der fürs Kotzen zuständig war. Ich war entsetzt. Wir haben alles getan, um einen anderen noch schnell anzulernen. Ich wollte auf keinen Fall, dass einer sagt: Jetzt nimmt der Soltesz Abstand davon. Manchmal muss man allerdings auch einfach ganz praktisch eingreifen. Bei uns hat ein Italiener „Die Zauberflöte“ inszeniert. Und da saß ich dann und hörte die Dialoge: Lauter Ausländer auf der Bühne, keiner verstand sie. Klang alles wie ein japanischer Weckauftrag. Da haben wir dann großzügig gestrichen.

Sie genießen im Haus viel Respekt. Aber man weiß auch, dass das Aalto unter Soltesz kein Streichelzoo war...

Soltesz: Um es mit dem großen Dirigenten George Szell zu sagen: Du kannst kein guter Dirigent sein und zugleich ein netter Kerl. Wenn Sie immer wieder streng und unnachgiebig Qualität fordern, kann es schon sein, dass man Sie Unmensch und Tyrann nennt. Damit muss man leben. Ich habe als Dirigent nie versucht, einen Popularitätstest zu gewinnen.

Mit der einen Leidenschaft, dem Rauchen, haben wir als Frage begonnen, mit der größeren enden wir. Gibt es für Sie einen Tag ohne Musik?

Soltesz: Nein, ich wüsste nicht, was ich sonst machen sollte.