Essen. . Hein Mulders, der neue Doppel-Intendant von Aalto-Theater und Philharmonie, verspricht mehr Vielfalt, große Gastdirigenten, besondere Mozart-Momente. Und Sänger, die nicht nur schöne Stimmen haben

Sein Büro lässt noch nicht auf die Größe der Aufgabe schließen: Hein Mulders (50) übernimmt in der Spielzeit 2013/14 ein außergewöhnliches Doppelamt. Der sympathische Niederländer wird neuer Intendant des Aalto-Theaters und Chef der Philharmonie. Mit Martina Schürmann und Lars von der Gönna sprach er über organisatorische Herausforderungen, Mozart und die Anziehungskraft schöner Stimmen.

In der Politik würde man Sie Superminister nennen. Wie organisiert man das Amt?

Hein Mulders: So etwas funktioniert nur mit einem Superteam, und das habe ich hier vorgefunden. Ich lebe jetzt auch schon seit einem halben Jahr in Essen, um meine erste Spielzeit vorzubereiten. Und nicht nur die. Wir gestalten eigentlich schon die Spielpläne für die nächsten drei Jahre, weil ich es gewohnt bin, langfristig zu planen. Wenn man früh genug anfängt, bekommt man große Künstler noch zu einem bezahlbaren Preis. Und im Grunde übernehme ich ja noch eine dritte Sparte: das Orchester. Das ist das Herz des Betriebes und verdient besondere Beachtung.

Die Essener Philharmoniker haben unter Stefan Soltesz große Erfolge erspielt. Eine Veränderung im Orchestergraben bringt auch Verunsicherungen mit sich, zumal der neue Generalmusikdirektor Tomáš Netopil nicht so konstant am Haus arbeiten wird.

Tomáš Netopil wird zwei große Produktionen dirigieren und auch einige Wiederaufnahmen. Und mit ihm wird ein neuer Schwerpunkt ans Haus kommen: Mozart und das slawische Repertoire. Aber wir werden künftig auch mehr Gastdirigenten haben. Das bringt natürlich einen Mentalitätswechsel mit sich, wenn man 16 Jahre auf eine bestimmte Farbe eingeschworen war. Ich denke aber, das ist auch für das Publikum spannend, unterschiedliche Handschriften kennenzulernen. Ich werde in der ersten Spielzeit auch mit drei großen Opernhäusern zusammenarbeiten und Koproduktionen zeigen. Ich setze auf größere Vielfalt.

Gibt es Veränderungen beim Ensemble?

Etwa die Hälfte der Sänger wird ab Sommer nicht mehr am Haus sein. Das ist immer eine heikle Angelegenheit, wenn der neue Intendant kommt und Verträge nicht verlängert. Aber ich bin Casting-Direktor von Hause aus, das ist meine Leidenschaft, kreativ mit Talenten umzugehen. Da kommen viele junge hochmotivierte Sänger, sexy könnte man fast sagen, das trifft es wohl.

Im Aalto sieht es bald also aus wie bei „Germanys next Topmodel?

(lacht): Nicht ganz. Aber die Leute strahlen eine unheimliche Energie und Dynamik aus. Gut aussehen heißt ja nicht unbedingt hübsch sein. Aber sie müssen das darstellen, was die Rolle erfordert. Und sie bringen Flexibilität mit. Nicht jedes Engagement muss auf Lebenszeit angelegt sein. Viele junge Sänger wollen heute schnell Karriere machen. Ob man das gut findet oder nicht, ich will damit umgehen.

Essen funktioniert aber nicht nur als Karrieresprungbrett?

Nein, die Top-Künstler und Top-Orchester kommen in die Philharmonie und fragen: Wann bekommen wir wieder einen Termin? Die Akustik ist ausgezeichnet – genauso wie im Aalto-Theater, ein Traum für Sänger. Essen ist natürlich nicht Hamburg oder Berlin. Aber es gibt ein Opernpublikum, das auch 200, 300 Kilometer für eine Wagneroper fährt. Dass Essen für diese Leute ein Begriff ist, das ist schon wichtig. Das hat natürlich mit der Qualität zu tun, in der Oper wie im Konzert.

Ihr Amtsantritt fällt mit vielen Jubiläen zusammen: der 200. Geburtstag von Wagner und Verdi. Und die Philharmonie wird zehn, das Aalto-Theater 25. Wie hört man das?

Verdi ist für mich in diesem Jahr noch eine Spur wichtiger als Wagner. Wagner stand hier ja lange im Mittelpunkt, genauso wie Strauss. Die Spielzeit im Aalto werden wir deshalb mit „Macbeth“ von Verdi eröffnen, dirigiert vom neuen Generalmusikdirektor Tomáš Netopil. Passend zum Verdi-Jubiläum werden die Essener Philharmoniker außerdem dreimal Verdis „Requiem“ in der Philharmonie spielen. Zweimal im Abo des Orchesters und einmal sehr prominent im Philharmonie-Abo „Große Orchester“. So wollen wir die Programme beider Häuser, Oper und Philharmonie, künftig thematisch auch stärker verknüpfen.

Gönnt man sich zur Feier des Jahres auch ein paar große Namen?

Für das große Festkonzert im Aalto haben wir die weltweit gefeierte Wagner-Sängerin Anja Kampe gewonnen. So einen Star könnten wir uns eigentlich nie leisten, aber bei uns wird sie zur Eröffnung der übernächsten Spielzeit sogar eine große Puccini-Partie singen. Damit habe ich sie locken können, denn als Sänger wird man sonst schnell in Schubladen gepackt.

Haben Sie schon eine Idee davon, was das Essener Publikum will?

Als ich Casting-Direktor in Antwerpen war, hieß der GMD dort Stefan Soltesz. Nach seinem Wechsel ans Aalto sind wir natürlich oft nach Essen gefahren. Ich habe hier viele Produktionen gesehen. Da lernt man schon, was hier vielleicht gut ankommt und anderswo eher nicht.

Sie übernehmen zwei Häuser mit großen finanziellen wie organisatorischen Ansprüchen. Keine Sorge, Konkurrent im eigenen Haus zu sein?

Im Gegenteil. Das Schöne ist, dass man jetzt alles aufeinander abstimmen kann, Probenzeiten, Konzerttermine. Unter einer Führung kann man praktische Probleme lösen, bevor sie eskalieren. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man die Häuser separat führt.

Was werden Sie beibehalten?

Ich muss das Rad nicht überall neu erfinden. Viele von meinem Vorgänger Johannes Bultmann eingeführte Konzertreihen sind sehr erfolgreich. Die Musik bei Kerzenschein, oder das Neue-Musik-Festival „Now“. Auch den „Sommernachtstraum“ werde ich als Format übernehmen. Die Kammermusik der Essener Philharmoniker werden wir noch weiter aufstocken und neben dem Aalto-Foyer auch im RWE-Pavillon anbieten. Das ist ein toller Raum, der bislang vor allem nur für Kongresse und Jazz genutzt wird. Letztens war ich in so einem Konzert. Da stehen die Leute auf den Stühlen. Sowas wünscht man sich natürlich auch für die Klassik. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber vielleicht werden sich einige dieser Konzertbesucher doch von der besonderen Atmosphäre des Hauses fangen lassen und wiederkommen.