Essen. Der Dirigent Stefan Soltesz, der zurzeit seine letzte Saison als Essener Generalmusikdirektor und Intendant des Aalto-Theaters absolviert, erlebte Wagners Werk schon als Wiener Sängerknabe. Hier schreibt er in unserer Wagner-Serie über seine Erfahrungen mit dem Komponisten.
Als ich der Musik Richard Wagners begegnet bin, war ich ein Kind von elf Jahren. Ich war ja Wiener Sängerknabe, wir wuchsen mit Mozart und den Italienern auf. Aber dann sang ich in einer konzertanten Aufführung einen Friedensboten in Wagners früher Oper „Rienzi“. Josef Krips dirigierte, Christa Ludwig und Set Svanholm sangen. Natürlich hat mich dieser Auftritt im Wiener Musikverein damals total elektrisiert.
Aber mein bewusstes Aha-Erlebnis in Sachen Wagner – das war wohl, wie ich als junger Mann an der Wiener Staatsoper den „Parsifal“ gehört habe. Trotz der Verehrung für all die anderen Komponisten war mir sofort klar, dass das eine neue Dimension ist: Ich war überwältigt.
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Später als Wagner-Dirigent habe ich vor allem eines versucht: mich nicht gänzlich von dieser Musik einnehmen zu lassen. Das ist ja an sich schon eine rauschhafte Musik, ein Narkotikum. Um es gut zu machen, darf man nicht völlig eintauchen – es kann dann rasch zu schwülstig werden oder zu distanzlos.
Wenn man so einen langen Abend dirigiert hat, sind die Gefühle ganz unterschiedlich. „Tristan und Isolde“, das zehrt wirklich an den Nerven. In der letzten halben Stunde des „Parsifal“, da überkommt mich eher so ein Glücksgefühl. Ich denke dann oft an die buddhistischen Religionen – und dass so wohl ein Nirwana, ein erfülltes, klingen könnte.
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Die größte Besudelung haben die Nazis betrieben
Dass Wagner bis heute so hart angegangen wird, ja gehasst wird, liegt fast auf der Hand. Es gibt diese sehr schwierige Persönlichkeit, die Mäzene anbettelte und vor drei in einem Raum versammelten Geliebten aus dem „Tristan“ vorlas; und dann noch diese unsägliche Schmähschrift „Das Judentum in der Musik“. Aber die größte Besudelung haben wohl doch die Nazis betrieben, als sie Wagner für ihre Zwecke instrumentalisierten. Dabei wurde zum Ende des Krieges mehr Lehár und Puccini gespielt als Wagner. Aber bis heute muss halt der „Walkürenritt“ herhalten – selbst wenn es um Filmmusik zum Vietnamkrieg geht.
Wenn ich singen könnte? Brünnhilde, das ist schon eine grandiose Rolle, eine echte Heldin. Aber Isolde und Kundry sind es nicht weniger. Und wenn ich nur eine Wagner-Oper aus einem brennenden Haus retten dürfte, da wäre ich schon sehr hin- und hergerissen zwischen „Tristan“ und „Parsifal“. Ach, ich würde mich drüber hinwegsetzen – und einfach beide vor den Flammen retten.
Der Dirigent Stefan Soltesz wurde 1949 in Ungarn geboren, studierte in Wien, wo er heute immer noch regelmäßig an der Staatsoper dirigiert.
Mit seinem Amtsantritt 1997 führte er das Essener Aalto-Theater zu einer überregional beachteten Größe. Diese Saison ist seine letzte als Intendant und Generalmusikdirektor.