Der im Ruhrgebiet aufgewachsene Autor Sascha Reh nimmt in seinem zweiten, rasant erzählten Roman „Gibraltar“ die drängendste Frage der Zeit auf: die nach der Schuld am Zocker-Unwesen der Banken. Am Ende offenbart die Geschichte, dass selbst altehrwürdige Bankiers machtlos sind gegen die halsabschneiderischen Exzesse der Finanzindustrie.

An der spanischen Mittelmeerküste hat die Bauspekulationsblase halbfertige Ferienhausruinen zurückgelassen, die gut als Versteck taugen. Nicht nur für die Afrikaner ohne Papiere, die es übers Mittelmeer geschafft haben. Sondern auch für den Börsenhändler aus Frankfurt, der gerade fast 40 Millionen Euro beiseitegeschafft hat und auf der Flucht ist – seine Privatbank trudelt nämlich gerade in die Pleite. Er muss dringend nach Gibraltar, aber die Illegalen flehen ihn um Hilfe an.

Machtlos: altehrwürdige Bankiers

Bis in die Örtlichkeit hinein gut ausgedacht, dieser symbolpralle Zusammenstoß von Menschen aus zwei sehr entfernten Regionen der Sozialskala im digitalen Kapitalismus. Der im Ruhrgebiet aufgewachsene Sascha Reh nimmt mit seinem zweiten, rasant erzählten Roman „Gibraltar“ die drängendste Frage der Zeit auf, die nach der Schuld am Zocker-Unwesen der Banken, das mit seinen Wett-Optionen und Leerverkäufen jeden wirtschaftlichen Sinn hinter sich gelassen hat.

Die Blickweise dieses Romans scheint eine Antwort zu sein. Sechs Beteiligte am Geschehen, vom Besitzer der Privatbank, seiner Frau und seinem Sohn bis zum tablettensüchtigen Börsenbroker, seiner Frau und seiner Stieftochter: Die Welt besteht aus Perspektiven. So erschließt sich nebenbei die Geschichte des Bankhauses Alberts & Co. von der Weimarer bis zur Berliner Republik. Am Ende offenbart sie, dass selbst altehrwürdige Bankiers machtlos sind gegen die halsabschneiderischen Exzesse der Finanzindustrie.

Ein böser Verdacht

Durch diesen Roman streunen aber auch unzufriedenheitssüchtige Frauen und verantwortungsscheue Männer. Einer bringt seine permanente Unentschiedenheit

Sascha Reh
Sascha Reh © Remo Bodo Tietz; NRZ

gewinnbringend in der Therapeuten- und Beraterbranche ein. Und Nutznießer-Talente, die es weit gebracht haben in ihrer Opportunismus-Optimierung. Es gibt aber auch den einen oder anderen Zufall zu viel in diesem Buch (wie das wenig originelle Zusammentreffen zweier Eheleute beim Blind Date).

Am Ende bleibt in „Gibraltar“ ein böser Verdacht: Die individuelle Schuld an der Erpressung einer ganzen Gesellschaft durch das Finanzsystem könnte sich auf die Entscheidung beschränken, ob man von diesem System profitieren will oder nicht. Dass es dessen grundlegende Gesetzmäßigkeiten sein könnten, die zur Steuerzahler-Plünderung führen, gerät schon gar nicht mehr in den Blick. Wohl aber, dass die Schulden, mit denen die Banken ihre Geschäfte machen, nie weg sind. Irgendwer zahlt immer die Zeche. Die Schuldigen allerdings am allerwenigsten. Da ist dieser Roman wieder voll und ganz in der Lebenswirklichkeit.

Sascha Reh: Gibraltar. Roman Schöffling & Co, 461 Seiten, 22,95 Euro.