Essen. . Kinder leben jeden Tag mit Dingen, die sie sich erklären müssen. Als ein Verlag ankündigte, Worte wie “Neger“ in Neuauflagen von Kinderbüchern zu streichen, empörten sich viele. Dabei macht die Vereinfachung von Jugendbüchern seit langem Schule. Ist das gut?
Das tapfere Schneiderlein der Brüder Grimm hockt auf seinem Tisch und langt, als es die Fliegen erschlagen will, die sein Mus-Brot umschwirren, nach einem Tuch hinunter in „Hölle“. Hölle ? Ja, so nannten Schneider früher das Durcheinander unterm Tisch. Kaum jemand weiß das noch. Und doch lassen auch neue Ausgaben des Märchens dieses rätselhafte Wort so stehen – kleine Verständnislücken und Fragwürdigkeiten nehmen Kinder leicht hin, sie leben ja Tag für Tag mit Dingen, die sie sich erklären müssen.
„Ad usum Delphini“
Anders sieht es mit der Anfangs-Szene des „Schneiderleins“ aus: Da schleppt sich eine Bauersfrau mit Mus-Töpfen drei Treppen hoch – und bekommt vom Schneider zu hören: „Wieg Sie mir doch vier Lot ab, liebe Frau, wenn’s auch ein Viertelpfund ist, kommt es mir nicht darauf an.“ Ein Lot, kaum jemand weiß das noch, waren rund 17 Gramm; der Schneider wollte 68 Gramm, zur Not aber auch 125 – während Mus eigentlich pfundweise verkauft wurde: Die Bäuerin war enttäuscht, der Schneider ist schon hier ein Aufschneider. Doch das versteht heute niemand mehr – Märchenbücher lassen diese Stelle heute oft weg.
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Und niemand protestiert.
Aber als der Thiemann Verlag im Januar ankündigte, in der Neuausgabe der „Kleinen Hexe“ von Otfried Preußler auf Begriffe wie „Neger“ und „Schuhwichse“ zu verzichten, schlugen die Wellen der Empörung hoch: Die einen verspürten einen Angriff auf die heile Welt ihrer Kindheit; andere sahen darin einen Auswuchs der „politischen Korrektheit“, von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bis zum Lehrerverbandspräsidenten Josef Kraus wollten alle den ihnen vertrauten Neger behalten. Und befürchteten womöglich, demnächst „Schneewittchen und die sieben Kleinwüchsigen“ zu lesen.
Kinderbücher wurden seit jeher an aktuelle Bedürfnisse angepasst
Kinderbücher sind allerdings schon „bearbeitet“ worden, als es sie eigentlich noch gar nicht gab: Für Frankreichs Thronfolger, den „Dauphin“, wurden im 18. Jahrhundert „jugendfreie“ Klassiker-Fassungen von Homer bis Ovid erstellt, ebenso gekürzt um unzüchtige Passagen wie das Alte Testament (Hesekiel 23 etwa). „Ad usum delphini“, zum Gebrauch für den Dauphin, ist bis heute der Fachbegriff für den Zuschnitt von Büchern auf Kinder und Jugendliche.
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Auch Joachim Heinrich Campes „Robinson“ (1779), der als erstes deutsches Jugendbuch gilt, ist eher eine Bearbeitung des Originals als eine Übersetzung. Von Coopers „Lederstrumpf“ bis zu Gustav Schwabs „Heldensagen“ las man im 20. Jahrhundert nur modernisierte, oft erheblich gekürzte Fassungen – wegen akuter Langeweiler-Gefahr.
Nicht gekürzt wurde Karl May; in seinen Romanen merzte man Fremdwörter aus. So wurde aus dem „Prinzipal“ einer Firma ein „Brotherr“, aus einer „Depesche“ eine „Drahtnachricht“. Im Eindeutschungswahn ließ man May an seiner „Handschrift“ arbeiten – im Original stand „Manuskript“.
Pippi Langstrumpf war einmal Tocher des Negerkönigs
Wenn heute Kinderbücher verändert werden, geht es darum, Missverständnisse zu vermeiden. In Preußlers „Kleiner Hexe“ sollen ja nicht Schwarze beschimpft werden; und beim Wort „Schuhwichse“ verfallen schon Kindergartenkinder ins Gibbeln.
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Aber vielleicht ist es auch eine Art Überbehütung, Kindern jede Verständnisschwierigkeit aus dem Weg räumen zu wollen. Ganze Generationen haben sich werweißwas zusammengereimt, wie Pippi Langstrumpf als Tochter eines „Negerkönigs“ eine sehr blondhäutige, rothaarige Göre werden konnte. Astrid Lindgren hat das Wort Mitte der 20er-Jahre aus schwedischen Zeitungen aufgeschnappt. Da ging es um einen Schweden, der in der Südsee die Tochter eines Eingeborenen-Häuptlings geheiratet hatte und dessen Nachfolger wurde. Aber das ahnt man auch dann nicht, wenn in den Pippi-Langstrumpf-Ausgaben heute „Südseekönig“ steht.