Duisburg. .

Sascha Reh ist Duisburger. An der Ruhr wurde seine Literatur früh ausgezeichnet. Nun textet er von Berlin aus. Sein Roman „Falscher Frühling“ ist ein kritischer Blick auf Kunst und Leben

So viele Dramen zwischen Eltern und Kindern im Alltag, so viele Familientragödien auf der Bühne. Theaterfamilien aber haben das Zeug zu einem Maximum an Seelenverletzten auf allen Seiten, und jede ist auf ihre Weise unglücklich mit ihren Rollen. Lothar Lotman, Regisseur, ist so einer, dessen abgeknickter Karriereweg von Verwundeten gesäumt ist. Doch er ist zeitlebens zu sehr mit Lothar Lotman beschäftigt, um sich irritieren zu lassen – und jetzt noch dieser verdammte Krebs, Prostata. Amouren sind nurmehr Erinnerung. Wenigstens kann er noch unsägliche Fernseh-Talkshows über die 80er-Jahre sprengen. Aber den „Torquato Tasso“, das Künstlerdrama schlechthin, will keiner mehr mit ihm machen.

Der abgehalfterte Regietheater-Regisseur im Leerlauf, eine Bühnenbildnerin, mit der er seit Jahren nur noch einseitig glücklich verheiratet ist, und Franziska, die viel zu kluge Tochter der beiden: Mit dieser Konstellation spielt der in Duisburg geborene Neu-Berliner Sascha Reh Szenen vieler Ehen durch – und andere Unfälle, die der Liebe drohen.

Der Held, ein Berufszyniker

Der Berufszyniker Lotman antwortet auf die Frage „Und, bist du glücklich?“: „Nee, dazu hab ich zu wenig Geld“. Mit seinen Potenzproblemen macht er sich bei einer Ex-Geliebten lächerlich, aber mit einem kalkweißen Gesicht wird er erst am Ende dastehen, als der Airbag des BMWs ex­plodiert, mit dem er ins Schaufenster einer Tankstelle rast.

Dahinter schlürft, und das ist der einzige unglaubliche Zufall in diesem Buch – seine Tochter Franziska einen Morgenkaffee, sie hat die Nacht mit einem Ruben rumgebracht, der noch mehr über Spott und die Welt nachgedacht und abgehakt hat als sie. Ein seltsames Paar, von dem man beim Kennenlernen im HundertMeister, beim Ansteuern des Kult-Cafes Graefen nicht ahnen kann, dass sie in den Kulissen des Duisburger Theaters eine der intensivsten Passagen dieses Romans verbringen – mit zärtlich nachdenkenden Dialogen. Aber es bleibt nicht der einzige falsche Frühling in diesem Buch.

Dem Leben angeschmiegt

Dieser sehr kunstvoll, ja schön gebaute Roman ist überhaupt von einer ungeahnten Welthaltigkeit, sein philosophischer, dem Leben angeschmiegter Realismus dürfte gespeist sein vom Zweitberuf des Autors, der in Berlin als Familientherapeut arbeitet. Derlei Erfahrungen fließen vor allem in Philipp ein, mit dem die Bühnenbildnerin kurz vor ihrer Scheidung auf ihren ersten Ehebruch zusteuert. Das führt erst zu einem Düsseldorfer Exklusivitaliener und dann zu einer atemlosen Verrenkungs-Szene in einem steckengebliebenen Aufzug. Wie der Roman überhaupt zum Schluss noch einmal ordentlich auf die Tube drückt – bevor es dann in den doppelten Boden geht. Leben, Liebe und Theater sind hier nicht gespiegelt, sondern ebenso gründlich wie spielerisch reflektiert.

  • Sascha Reh (36), der Geschichte, Philosophie und Germanistik in Bochum und in Wien studiert hat, lebt heute mit seiner Familie in Berlin. Er wurde für seine Erzählungen „Tief stehen“ und „Das System Schablonski“ gleich zweimal mit dem Förderpreis zum Literaturpreis Ruhr ausgezeichnet. Er liest am Donnerstag, 9. Dezember, in seiner Heimatstadt Duisburg an einem der Schauplätze seines Romans: in der Kulturzentrale HundertMeister (Dellplatz 16a), 20 Uhr.