Stockholm/Peking. . Mit Mo Yan erhielt ein lebender Klassiker der chinesischen Literatur den Nobelpreis zuerkannt. Manchen ist er zu staatstragend, anderen politisch genug. Die schwedische Akademie sieht in ihmeinen Autor, der „Volkssagen, Geschichte und Gegenwart mit halluzinatorischem Realismus verschmelzt.“
Die einen halten ihn für zu staatstragend, die anderen schlicht für einen großen Erzähler. Und während der neue Literaturnobelpreisträger Mo Yan mit seinem Dutzend Romanen in China zu den bekanntesten Schriftstellern gehört, werden die meisten Menschen hierzulande seinen Namen im ersten Moment verwandelt haben in „Mo – wer?“
Eigentlich heißt er Guan Moye, sein Pseudonym Mo Yan, „der Sprachlose“, legte sich der 1955 geborene Sohn einer traditionellen Bauernfamilie zu, als er Anfang der 80er-Jahre zu schreiben begann. Erfolglos zunächst, niemand wollte seine Erzählungen drucken. Doch schon sein zweites Buch brachte einen großen Durchbruch: Der Roman „Das rote Kornfeld“, ein weites Panorama chinesischer Geschichte bis zum Zweiten Weltkrieg, wurde gleich nach Erscheinen von Zhang Yimou verfilmt, der damit auf der Berlinale 1989 den Goldenen Bären gewann.
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„Halluzinatorischer Realismus“
Von großen politischen Diskussionen hält sich Mo fern. In den Kontroversen zwischen chinesischen Dissidenten und der Kommunistischen Partei, der er nach wie vor angehört, tat er sich nicht hervor. Als China 2009 den umstrittenen Auftritt als Gastland der Frankfurter Buchmesse hatte, hielt Mo die Eröffnungsrede. In China löste die Nachricht aus Stockholm Jubel bei den Offiziellen und in großen Teilen der (Internet-)Öffentlichkeit aus; Regimekritiker und Exil-Autoren dagegen bezeichneten Mo als Parteischreiber und erinnerten daran, dass er Mao gelobt habe.
Mo selbst plädiert für die Freiheit des Autors, der nur seiner Vorstellungskraft verpflichtet sei. Den Einfluss des
„Magischen Realismus“ auf sein Schreiben hat er nie abgestritten, was die Schwedische Akademie der Wissenschaften in ihrer Begründung die Namen zweier Vorgänger Mos nennen ließ: Er sei ein Autor, der „Volkssagen, Geschichte und Gegenwart mit halluzinatorischem Realismus verschmelzt. Mit einer Mischung aus Phantasie und Realität, historischen und sozialen Perspektiven hat Mo Yan eine Welt geschaffen, die in ihrer Komplexität an die in den Werken von William Faulkner und Gabriel García Márquez erinnert“, verlas Akademie-Sekretär Peter Eglund die Jury-Begründung.
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Mos Stil ist der lyrischen, bildhaften Tradition der chinesischen Literatur verpflichtet. Seine Helden sind oft einfache Menschen, die alten Berufen nachgehen, auf dem Lande, wo Lehren des Konfuzius noch gelten. Er beschreibt, wie diese alte Welt seit den 80er Jahren und bis heute von der Modernisierung und Industrialisierung herausgefordert wird.
Mos Bücher wie die Romane „Die Knoblauchrevolte“, „Dreizehn Kapitel der Freude“ oder „Die Schnapsstadt“ wurden im Laufe der Zeit immer märchenhafter und gruben sich immer tiefer in die nationale Geschichte ein, ohne einen Bogen um politische Inhalte zu machen. So erzählt sein Epos „Der Überdruss“ aus der Zeit von Maos Landreformen in den 50er-Jahren und spart ihre Opfer nicht aus. Mo verfolgt Schicksale über mehrere Jahrzehnte und liefert ein getreues Bild der historischen Abläufe. Der deutsche Hanser Verlag bereitet für das kommende Frühjahr die Übersetzung von Mos Roman „Frösche“ über Chinas Ein-Kind-Politik vor.