Essen. . Was ist bloß aus der harmlosen Samstagabend-Sendung im TV geworden? „Wetten, dass...?“ muss bald ohne Thomas Gottschalk auskommen. DSDS und Stefan Raab setzen auf „Höher, schneller, weiter“. Warum das so ist, erklärt Medienexperte Volker Gehrau.

Das waren noch Zeiten: Als sich die ganze Familie vor dem Fernseher versammelte, um zu sehen, wer denn nun bei „Einer wird gewinnen“ mit Hans-Joachim Kuhlenkampff der Schlauste ist. Oder das heitere Mitraten am Samstagabend bei Robert Lembkes „Was bin ich?“ Und heute? So fragen die älteren Kollegen. Tja, heute ätzt Dieter Bohlen untalentierte Nachwuchs-Sänger an, rutscht Stefan Raab auf einem Wok die Bob-Bahn herunter oder die Ex-MTV-Jungs Joko und Klaas springen durch das Studio und fragen „17 Meter – wie weit kannst du gehen?“. Und dann verlässt auch noch Thomas Gottschalk die große, nein, seine große „Wetten, dass...?“-Bühne. Ist das der Abgesang auf die familienfreundliche, harmlose Samstagabend-Unterhaltung?

Die Begründung für die Anhäufung purer Jugend-Formate ist einfach: Die Werbebranche schaut auf 14- bis 49-Jährige. Wichtig ist die Quote gerade der ganz jungen Zielgruppe. Die Quote bestimmt die Preise. Damit finanzieren sich die privaten Sender. Ziel ist, die Teenies vor den Fernseher zu locken. Die Carmen-Nebel-Zielgruppe interessiert nicht, dafür gibt es den öffentlich-rechtlichen Auftrag.

„Höher, schneller, weiter“

Braucht es also das „Höher, schneller, weiter“ am Samstagabend? Braucht es den Zickenterror bei „Deutschland sucht den Superstar“ oder gar den nackten, Töne von sich gebenden Hintern bei „Das Supertalent“? Das wäre doch bei Rudi Carrell oder Hans Rosenthal undenkbar gewesen.

„Es ist die Frage, ob die Sendungen damals so harmlos waren“, sagt Volker Gehrau, Professor für Kommunikationswissenschaft in Münster. Bei Kuhlenkampff etwa sei die europäische Einheit thematisiert worden. EWG, also „Einer wird gewinnen“, sei als Anspielung auf die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft gedacht. Passend zur damals aktuellen politischen Diskussion. „Ob Kuhlenkampffs Art Interviews zu führen, harmlos war, bezweifle ich.“ Mit seinen humorvollen, aber auch kritischen Fragen habe er genau im Zeitgeist gelegen. Und genau das sei wichtig für ein TV-Format. Selbst in Volksmusiksendungen finde sich mittlerweile Techno à la DJ Ötzi.

Skurriles zieht

Dennoch sei der Konkurrenzkampf um die Einschaltquote härter geworden, erklärt der Medienexperte: „Je mehr Programme es gibt, desto auffälliger muss man sein.“ Stefan Raab, zurzeit wohl der erfolgreichste Entertainer im TV, setzt dem bereits gefährlichen Bob-Fahren eine Wok-Schüssel auf oder misst sich als Unerfahrener im Turm-Springen oder Boxen gegen Regina Halmich. Immer verfolgt von der Frage: Schafft er es? Oder blamiert er sich?

„Der Zuschauer sieht gerne Leute, die etwas Skurriles ausprobieren. Das ist nichts Neues“, erklärt Gehrau. „Es geht ums Mitfiebern und um die Möglichkeit zu scheitern und aber auch zu gewinnen.“ Ein Prinzip, das eben auch schon bei „Wetten, dass...?“ gegriffen und funktioniert hat. Und auch wenn die letzte Show Anfang Mai mit 7,38 Millionen Zuschauern die schlechteste Quote aller Zeiten eingefahren hat: „Das ist Jammern auf hohem Niveau, denn es war immer noch eine gute Quote“, relativiert der Mediennutzungsforscher.

„Gottschalk ist Gottschalk“

Und „Wetten, dass...?“ wird nicht eingestellt. Natürlich wird es nach knapp einem Vierteljahrhundert Gottschalk-Ära schwierig für den Nachfolger, wer auch immer es sein wird. Thomas Gottschalk sei mit seinen bunten Anzügen und seiner Locken-Frisur auffällig und dennoch authentisch. „Ich denke, dass er Eigenheiten und Kanten hat, die zwar ungewöhnlich sind, aber dass er eben so ist wie er ist“, beschreibt Volker Gehrau. „Er ist das Gegenmodell der sonst so eintönigen medialen Einförmigkeit.“ Und mit dieser Art konnte sich Thomas Gottschalk über die Zeit „auf Augenhöhe“ mit den großen Stars - von Phil Collins über Robbie Williams bis zu Justin Biber - unterhalten. Das nimmt man ihm ab.

Doch dieses Gottschalk-Konzept zu kopieren, funktioniert nicht: „Den Talkshow-Teil muss man so umbauen, wie das für den neuen Moderator oder die Moderatorin passt“, empfielt Gehrau. „Gottschalk ist Gottschalk.“ Und ein Hape Kerkeling, eine Barbara Schöneberger, eine Anke Engelke oder ein Kai Pflaume sind es eben nicht.

Deswegen müsse man den Nachfolgern vor allem Zeit geben, sich ein Profil zu erarbeiten, sich zu bewähren. Auch Stefan Raab habe sich ausprobiert und ganz langsam und beharrlich hochgearbeitet. „Beliebtheit muss man aufbauen. Man muss eine Vertrautheit mit dem Publikum erzeugen“, weiß Gehrau. „Und das geht nur über Zeit.“