Essen. Sie ist die neue Nr. 1 im Deutschen Plakat Museum. Und kann sich vorstellen, die 350.000 Plakate der Sammlung mit Freiwilligen zu erschließen.
Wenn man Julia König daran erinnert, dass Wien in den letzten zwei, drei Jahren immer wieder zur lebenswertesten Stadt der Welt gewählt wurde, lacht sie hell auf: „Ach was, in den letzten 20 Jahren“, verbessert sie. Vielleicht gab es irgendwann dennoch zu viel Wien im Leben von Julia König, die 16 Jahre lang Leiterin der Plakatabteilung in der Wienbibliothek war. Jedenfalls ist von der Donau an die Ruhr gewechselt und nun die neue Chefin des Deutschen Plakat Museums im Essener Folkwang. Und voller Energie. Die ist in ihrem gut gelaunten Lachen genauso zu spüren wie in ihren Plänen: fröhlich, optimistisch, zupackend.
Die Sammlung der Wienbibliothek im Rathaus der österreichischen Hauptstadt umfasst mit 450.000 Plakaten sogar noch einmal 100.000 mehr als die im Folkwang. Aber: Alles Plakate, die sich um Wien drehen, die in Wien entworfen und gedruckt wurden, die Wien zeigen oder „in Wien affichiert waren“, wie Julia König es mit schönstem österreichischem Zungenschlag beschreibt, also in Wien hingen.
Da ist die Essener Sammlung schon wesentlich schillernder. Hervorgegangen aus der Lehrsammlung der Folkwangschule für Gestaltung (mit ikonischen Kostbarkeiten aus der französischen Frühzeit des Plakats), wuchs sie über fünf Jahrzehnte hinweg mit Schenkungen, Erbfällen und Ankäufen auf über 350.000 Plakate, von denen der größte Teil noch gar nicht gesichtet ist.
Die Vielfalt der Sammlung im Deutschen Plakat Museum hat Julia König nach Essen gelockt
Schon deshalb wäre es „eigentlich angeraten, im Museum zu wohnen“, lacht sie wieder, die Frau mit dem tatkräftig-begeisterten Schwung. Aber Julia König hat – „ich bin oft ein Glückskind“ – sehr schnell eine Wohnung im Essener Südviertel gefunden, kann zu Fuß oder mit dem Rad zur Arbeit. Ein Auto besitzt sie ohnehin seit über zehn Jahren schon nicht mehr. Und die Plakat-Fachfrau weiß, dass sie, genau wie ihr Vorgänger René Grohnert, der das Plakat Museum fast zwei Jahrzehnte geleitet hat und sich etwa die Hälfte des Bestands ansehen konnte, eine komplette Sichtung der Bestände „in diesem Leben nicht abzuschließen ist“. Der Job sei „nichts für Leute, die etwas ein für alle Mal erledigt haben wollen.“
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Aber in jedem Fall will sie die Sammlung so erschließen, „dass im Digitalen mehr davon sichtbar wird. Unbedingt!“ Bislang befinden sich etwa zehn Prozent der Plakate in der Datenbank, der Rest wartet noch „in den perfekten Depot-Räumen“ des Folkwang mit Klimatisierung und allem Pipapo darauf, erschlossen zu werden, registriert, digitalisiert und verzeichnet. Ob das mit KI geht? Hm, „Plakate haben oft handgemachte Schriften, die können manchmal nur von Menschen, aber nicht von Maschinen gelesen werden, die sie nicht kennen“. Julia König kann sich vorstellen, dass vielleicht Freiwillige, Enthusiasten dabei helfen könnten.
Es war nicht zuletzt die Vielfalt der Sammlung, die Julia König nach Essen gelockt hat – und auch die Chance, Ausstellungen zu machen. Das war in der Wienbibliothek anders. Hier musste sie sich mangels Platz darauf konzentrieren, Katalogbände der Sammlung für jedes Jahrzehnt zu erstellen, „in einer Mischung aus Coffee-Table-Book und wissenschaftlichem Anspruch“. Am Folkwang werden hingegen Ausstellungen in hoher Schlagzahl erwartet – inklusive fundiertem Katalog. Das Arbeiter-Bild auf Plakaten wäre ein tolles Thema für eine Ausstellung, aber da muss sie erst schauen, ob der Bestand das überhaupt hergibt.
Julia König mag witzige Plakate und solche der 30er- und 50er-Jahre
Sie mag an Plakaten, dass sie niederschwellig sind, dass man kein Hochschulstudium braucht, um sie zu verstehen – und sie doch mit wissenschaftlicher Sorgfalt und Erkenntnis erforschen kann. Dass Plakate neben der grafischen, künstlerischen Form eine Botschaft haben. Und etwas aussagen über die Zeit, die Gesellschaft, in der sie entstanden sind. Und sie mag Plakate der 1930er- und der 1950er-Jahre, „da wiederholen sich Motive und Stil so sehr, dass sie kaum zu unterscheiden sind. Spannend!“
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Und sie mag Plakate, über die man lachen muss: „Alkoholwerbung aus den 70er-Jahren mit dem Slogan ,Ferien vom Ich‘ oder Werbung für Produkte, die es nicht mehr gibt wie eine flüssige Schuhsohle.“ Manchmal muss sie auch lachen, weil sie ein neues Plakat sieht und nicht sich fragt: „Wer mag denn bloß gedacht haben, dass das eine gute Idee ist?“ Es gibt, das weiß sie nur zu gut, „eine Flut von schlecht gestalteten Plakaten“.
Julia König geht auf den Markt, ins Kino, in die Philharmonie
Als sie 2007 das erste Mal zu einem Praktikum am Plakat Museum in Essen war, mochte Julia König die Stadt „spontan!“ Sie half beim Aufbau der alljährlichen Ausstellung „100 beste Plakate“, die damals im Sanaa-Gebäude auf Zollverein stattfand und bei der die Plakate an Helium-Ballons hängen sollten, was von der Idee lebte und in der Realität eher ein Hindernislauf war. Sie findet an Essen die Gegensätze innerhalb der Stadt „spannend“, und weiß nur zu gut, „was die meisten in Österreich nicht verstehen: Wie viel in Deutschland durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs vernichtet wurde“.
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Aber sie ist noch dabei, Essen zu entdecken, auf den Markt zu gehen. Oder ins Kino. In der Lichtburg war sie immerhin schon („ein Erlebnis!“) und auch in der Philharmonie, wo sie den Jazz-Pianisten Brad Mehldau gehört hat. Ihr Neffe findet ohnehin Essen besser als Wien, „aber machen Sie keine Schlagzeile draus!“ Und dann lacht sie wieder. Fröhlich, optimistisch, zupackend.
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