Düsseldorf. Düsseldorf ehrt seinen berühmten Karnevalswagen-Bauer mit einer Ausstellung. Neben riesigen Papp-Aufstellern lernt man viel über Humorgeschichte.
Einmal im Jahr schaut ganz Deutschland auf seine Werke: Jacques Tilly ist der absolute Star im Düsseldorfer Karneval, seine frechen, politisch-pointierten Motivwagen aus dem Rosenmontagszug finden auf der ganzen Welt Beachtung. Putin badet im Blut der Ukraine? Das muss ein Tilly sein. Trump vergeht sich unsittlich an der amerikanischen Freiheitsstatue? Kardinal Woelki klammert sich am Kölner Dom fest, obwohl der Teufel schon an ihm zerrt? Habeck schluckt eine Kröte nach der anderen? Alles Motive von Tilly! Ein grandioser Spott, nicht nur für Narren.
Da war es längst überfällig, dass das Düsseldorfer Stadtmuseum ihm eine Ausstellung widmet. Sie heißt schlicht „Jacques Tilly. Freigeist“. Offizieller Anlass dieser umfassenden Retrospektive ist das 200. Jubiläum des Düsseldorfer Karnevals. Aber was sind schon offizielle Anlässe, wenn man einfach mal herzlich lachen kann. Und dazu bieten nicht nur Tillys Motivwagen Gelegenheit.
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Jacques Tilly ist eine Erscheinung. Und die wäre er auch, wenn er nicht 1,90 Meter messen würde und nicht den knallroten Overall tragen würde wie an diesem Tag, als wir ihn in seiner Ausstellung treffen – obwohl die Karnevalssession schon dem Höhepunkt entgegeneilt. Dem Stadtmuseum ist mit der Schau ein echter Publikumsrenner gelungen, ab der morgendlichen Eröffnung füllen sich die Säle unablässig. Die Besucher erkennen Tilly sofort, wollen Selfies, Plausch, Autogramme. In Düsseldorf ist Tilly, wie man so schön scherzt, quasi weltberühmt.
Jacques Tilly zeigt Kindheitsfotos vom ersten richtigen Karnevalszug – als Teufelchen
Er selbst zeigt hier ungeheuer viel aus seinem Leben. Kindheitsfotos vom ersten richtigen Karnevalszug mit vier Jahren mit Tilly als Teufelchen verkleidet. Und natürlich die Bilder, die er als Kind gemalt hat. Er verweist auf ein ungelenk gepinseltes Hasenbild, bei dem man, ehrlich gesagt, noch kaum Hinweise auf seine weitere Karriere entdecken kann: „Also Begabung ist da nicht so richtig, aber viel Energie. Also wirklich so zack, zack, zack, einfach schnell gemacht und auf den Punkt sozusagen“, analysiert er das eigene Frühwerk.
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Aber: In anderen Bildern offenbart sich schon mit vier, fünf Jahren, in welche Richtung der Rosenmontagszug des Lebens ziehen würde. Denn da findet sich ganz oft der Karneval mit Clowns, Konfettikanonen, Luftschlangen. Und dann plötzlich ein Bild, das Franz Josef Strauß darstellen soll, der sich über die „Willy wählen!“-Kampagne aufregt. So war das im Wahlkampf 1972 mit der Politik. Und die Anlagen für den spottenden Wagenbauer waren gelegt. Die Schnittmenge beider Themenfelder ist heute sein Revier, Tilly sagt: „Diese Mischung aus Politik und Humor, die ist einfach toll. Also nur Politik? Langweilig! Nur Humor und Slapstick? Öde! Aber wenn es um Werte geht, wenn es um Inhalte geht, dann macht das Spaß!“
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Wer hier durch die Bilder von Karnevalswagen der jüngeren Zeit wandert und sie vergleicht mit den Helmut-Kohl-Entwürfen aus den 80er-Jahren, merkt schnell: Heute ist Tilly viel provokanter, subversiver, pointierter, schlicht: besser als damals. Denn bis zum Jahr 2000 stimmte man sich vorher mit dem Comitee Düsseldorfer Karneval ab, was die Entwürfe manchmal zähmte. Doch seit damals herrscht Geheimhaltung. Vor dem Rosenmontag kriegt nur der engste Kreis von Tilly die frechen Entwürfe zu sehen: „Seit dem Jahr 2000 macht das richtig Spaß.“
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Das liegt auch daran, dass Tilly so viel Unterstützung bekommt: „Die Karnevalsnarren standen immer hinter mir. Die ermutigen mich und ich habe Rückenwind von denen. Deshalb bin ich immer noch so motiviert mit meinen 61 Jahren. Seit 41 Jahren mache ich das jetzt ohne Unterbrechung.“
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Die Themen seiner Wagen gehen durch das ganze politische Spektrum. In diesem Jahr steckt besonderer Zündstoff drin, weil der Rosenmontagszug ja eine Woche nach der Bundestagswahl losrollt. Noch kann man nur erahnen, wer dann Bundeskanzler sein mag. Aber Tilly ist gewappnet. Auch gegen anderes: „Also wir behandeln alle Parteien gleich, aber die AfD ein bisschen gleicher.“ Denn der Kampf gegen allzu rechte Kräfte lag ihm schon immer am Herzen.
Jacques Tilly: „Früher war man gegen alles!“
Und er selbst sieht sich heute in einer anderen Position als in jungen Jahren. „Früher, in den 80er-Jahren, war man natürlich gegen alles. Heute ist man vom Angreifer zum Verteidiger geworden. Man verteidigt die liberale Verfassung, die offene Gesellschaft, den Pluralismus, unser Parteiensystem. Von diesen geschichtsvergessenen Idioten lasse ich mir unser System nicht kaputt schreien. Der liberale, demokratische Rechtsstaat ist in der Defensive. Das hat bei mir einen Positionswechsel verursacht.“ In diesem Moment wird er dann doch ganz ernst, auch wenn er sonst so heiter ist.
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Dass am Aschermittwoch für Tilly dann alles vorbei ist, kann man nicht behaupten. Man sieht es an den ausgestellten Städte-Wimmelbildern, die er detailversessen und liebevoll auch für Essen und Duisburg gemalt hat. Und ja, sogar für Köln, so viel Geschäftssinn muss sein. Denn er macht, anders als der Weihnachtsmann, keine Pause nach dem Höhepunkt seines Jahres: „Ich bin Workaholic. Einmal gut ausschlafen, fertig. Mein Team hingegen, das hängt nach dem Rosenmontag in den Seilen. Meistens haben wir bis Ostern eigentlich Ruhe.“
Fans mögen Jacques Tilly auch ganz ohne Karneval
Nicht nur die Düsseldorfer lieben ihren Tilly, Presseausschnitte aus der ganzen Welt beweisen es. Aber hier am Rhein ist die Liebe schon sehr weit gediehen, sogar bei Menschen, die mit der Narrenzeit nichts zu tun haben, aber dennoch Humor besitzen. Sie sorgen beim größten der Düsseldorfer Wagenbauer für gute Laune. Tilly: „Wenn sie mich mal erkennen im Supermarkt oder bei Obi, dann heißt es auch: ,Karneval finde ich scheiße, aber ihre Wagen sind super!‘“
„Jacques Tilly. Freigeist“, bis 10. August, di.-so. 10-18 Uhr, 4 Euro, erm. 2 Euro, Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre frei. Happy Hour (Eintritt frei) di-sa. 17-18 Uhr, sonntags Eintritt frei. Stadtmuseum Düsseldorf (Berger Allee 2). Karnevalssonntag und Rosenmontag (2. & 3. März) geschlossen.