Essen. Sie kultivieren die „Bitch“: Die Rapperinnen Shirin David und Ikkimel machen Gleichberechtigung im Ghetto-Style. Wie frauenfeindlich ist das?

Sexismus hat im Deutschrap lange Tradition, nur kommt er nicht allzu oft von Frauen. Doch jetzt bringen Shirin David („Bauch, Beine, Po“) und Ikkimel („Aszendent Bitch“) zeitgleich ihre neuen Alben raus – und werden in den Charts ganz oben landen. Beide werden die Diskussion über Sexismus im Rap befeuern wie ein Molotowcocktail. Man fragt: Wird der Sexismus-Spieß hier einfach umgedreht, so dass am Ende fast schon Feminismus draus wird? Ist der Griff in die Phrasenkiste der männlichen Pöbel-Kollegen okay, wenn eine Frau dort tief hineingreift? Ermutigt das zur weiblichen Selbstbestimmung oder ist es frauenfeindliche Selbstausbeutung? Auf der Suche nach ein paar Antworten.

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Bling-Bling, Champagnie und Beauty-OP

Fangen wir an mit Shirin David, die von einer volloperierten YouTube-Influencerin zum Shootingstar im deutschen Frauenrap aufstieg und das Image der Luxus-Barbie nicht nur im Duett mit Rapper Ski Aggu („Atzen & Barbies“, 1,8 Millionen Youtube-Aufrufe in drei Wochen) kultiviert. Bei ihr dreht sich die Welt vornehmlich um Bling-Bling, Champagnie und Beauty-OP, die Schönheits-Schnippelei gehört für sie längst zum Lifestyle wie die protzige Chanel-Kette.

Shirin David: Schlau aber blond
Shirin David: Schlau aber blond, Vertigo Berlin/Universal Music © Universal | Amber Asaly

Wie schon die männlichen Rapper ist sie ein allzu williges Opfer der Konsumgüterindustrie. Aber vor allem dreht sich alles darum, wie heiß sie sich selbst findet – auch wenn sie sich dabei selbst zur Schau stellt. Etwa in „It Girl“ (3,3 Millionen YouTube-Aufrufe in drei Monaten): „Wache auf, brr, Satisfyer, brr,/sogar meine kleine Kitty-Kitty macht purr. Rich girl (uh), kleiner Twerk im Spiegel, ich bin fit, girl (uh).“

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Darüber hinaus geht es auch darum, dass ein Mann nicht nur gut auszusehen hat, sondern auch ordentlich die Scheinchen springen lassen soll, wenn man sich nur genug aufspielt: „Wenn er schon gestresst ist, mach extra noch mehr Drama/Und dein langjähriger Partner wird angenehm spendabler.“ Aber eigentlich hat er nicht mehr als seine Funktionen als Geldgeber und Befriediger zu erfüllen: „Ich bin jung, fotzig und frech/ und bist du auf einmal weg/Hör ich sicher keine traurigen Songs/Ja, ich habe immer recht,/außerdem bin ich perfekt.“ So viel Selbstbewusstsein kann man fast nur als Satire ansehen…

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Frauen haben sich den Begriff Bitch wieder angeeignet – mit Stolz

Oder eben als Teil einer Kunstfigur, der personifizierten „Bitch“, die von den Rapperinnen kultiviert wird. Wer heute noch denkt, dass Bitch ein Schimpfwort ist, hat in den letzten fünfzehn Jahren einiges verpasst. Denn was von den Männern im Rap früher durchaus abwertend als „Schlampe“ gemeint war, haben sich die Frauen längst wieder angeeignet – und tragen es wie eine Auszeichnung für eine selbstbestimmte, auch sexuell fordernde Frau. Sie geben sie sich dabei als „Boss-Bitch“ (so hieß auch das Debüt-Album von Katja Krasavice („Mach’s mir doggy“)), die seitdem mit jedem Album auf Platz 1 der Charts war). Die Bitches kommandieren herum, als hätten sie’s frisch im Domina-Studio gelernt.

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Charts - Helene Fischer und Shirin David
Ungleiches Duett: Shirin David (rechts) wurde sogar mit Helene Fischer zu „Wetten, dass?“ eingeladen, um „Atemlos“ zu singen. © DPA Images | Philipp von Ditfurth

„Bauch, Beine, Po“: Mit den Waffen einer Frau?

Dass die Frauen sich trotzdem ganz nebenbei zum Sex-Objekt machen, wird Feministinnen alten Schlags bestimmt schlaflose Nächte bereiten. Denn ihnen ging es ja genau darum, kein Objekt zu werden. Aber man muss im Rap-Kontext bedenken: Hier geht es um Gleichberechtigung im Ghetto, hier zählt die größere Klappe, die dickste Karre, die schwerste Goldkette. Das hat mehr als alles andere mit Selbstbehauptung zu tun, mit Machtgesten und lautem Trommeln auf die Brust, und sei es auf die Silikonbrust. Man kämpft mit dem, was man zur Verfügung hat. Oder wie Shirin David es in ihrem Hit „Bauch, Bein, Po“ singt: „Mit den Waffen einer Frau, brra-pa-pa-pap/Ich bin schlau, aber blond und supermegahot.“

Sogar bei Helene Fischer eingeladen

Die Kunstfigur der Bitch ist keineswegs neu im Deutschrap. Da gab es Lady Bitch Ray, die 2006 mit ihrem Gruppensex-Song „Hengzt Arzt Orgi“ zwar kommerziell erfolgreich war, aber ihren Job als Moderatorin bei Radio Bremen verlor – und später Songs wie „Deutsche Schwänze“ sang.

Die Selbstinszenierung als Bitch kann zu ganz unterschiedlichem Sozialstatus führen. Shirin David und Katja Krasavice landeten – auch weil man dem Format eine junge, unangepasste Note geben wollte – als ausgewiesene Musikexpertinnen in der Jury von „Deutschland sucht den Superstar“. Oder gemeinsam mit Helene Fischer bei „Wetten, dass…?“.

Für manche geht‘s ins Fernsehen, für andere in den Knast

Deutlich weniger Glück mit ihrer Medienkarriere hatte da Schwesta Ewa. Deren erstes Album hieß wegweisend „Kurwa“ (polnisch für „Nutte“) – und die Trennung von Kunstfigur und realem Leben funktionierte hier nicht so gut. Sie wurde 2017 wegen Körperverletzung, Steuerhinterziehung und Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Eine Anklage wegen Zuhälterei führte zu keinem Ergebnis…

Rapper wie Bushido haben sich dank Medien-Erfolg rehabilitiert

Ob man am Ende im Knast landet oder in Talkshows ist auch bei männlichen Rappern oft eher vom Zufall abhängig, wie man am Beispiel von Bushido sehen kann. Der war nicht nur eng mit dem Abou-Chaker-Clan und dessen organisierter Kriminalität verbunden, sondern musste sich auch noch Vorwürfe wegen Frauen- und Homosexuellenfeindlichkeit, Rassismus, Nationalismus, Islamismus, Jugendgefährdung und Gewalt anhören. Dem Gefängnis ist er oft nur durch Vergleichszahlungen entgangen. Heute ist er als achtfacher Vater, der sich von einigem aus seiner Vergangenheit distanziert hat, ein Dauergast in Spielshows und anderen Unterhaltungssendungen des Privatfernsehens. Und nebenbei spielt er auch noch auf großen Open-Air-Konzerte und ist Headliner auf Festivals. Bushido hat es in jeder Hinsicht härter angegangen als die Frauen, aber auch die sind nicht ohne.

Popmusik-Preis Polyton
Rapperin Ikkimel singt nicht nur mit Ski Aggu, sie greift auch selbst mit ihren Texten weit unter die Gürtellinie, mit dem Album „Fotze“ geht sie auf „Hände hoch, Hosen runter“-Tour. © picture alliance/dpa | Fabian Sommer

Frauen-Rap geht noch pornografischer

Während es in den USA zahlreiche weitere Vorbilder für hypersexualisierten Frauenrap, etwa Cardi B und Nicki Minaj gibt, treibt es in Deutschland treibt Ikkimel besonders bunt.

Ikkimel griff für ihr Debütalbum gleich ganz tief unter die Gürtellinie und hat es schlicht „Fotze“ betitelt. Sie nennt sich selbst und ihre Freundinnen so. Sie benutzt dieses Wort ungefähr so wie Bitch, nur ist ihr gesamter Wortschatz und ihre Fantasie ungleich pornografischer. Darin geht es um wenig anderes als um Sex, Koks und Kohle. Sie singt von Vierern mit Analverkehr, be- und verurteilt die Größe männlicher Geschlechtsteile fachfräuisch („Hallo, du bist lecker, gibt’s den Pimmel auch in groß?“ oder „Männer, Männer, halt die Fresse, du Schwanz,/unsere Wäsche kostet mehr als du ausgeben kannst.“)

Kokain-Konsum bis es nicht mehr geht

Untermalt von Musik, die in vielen Fällen nur mit Ballermann-kompatiblem Kirmes-Techno umschrieben werden kann („Geboren, um zu bumsen, auf einmal mache ich Money nur mit Utzen, Utzen, Utzen“). Und sie feiert die eigene Sexbesessenheit („Fick mich heute Nacht behindert!“). Stimmt auch nur ein Zehntel dessen, was Ikkimel über ihren Kokainkonsum singt, ist noch vor dem zweiten Album ihre Nasenscheidewand durchgeätzt.

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Das Ende des Feminismus

Erstaunen mag nur, dass auch junge, intelligente und durchaus gleichberechtigte Frauen sich für die Musik begeistern. Das ist ein Widerspruch, der vielleicht auch dadurch auszuhalten ist, dass hier wie in vielen Jugendkulturen Tabus gebrochen werden, gesellschaftliche Grenzen und Rollenbilder bröckeln – damit haben Pop und HipHop schon immer provoziert. Und warum sollte Selbstbestimmung an dem Punkt enden, an dem man seinen eigenen Interessen und Überzeugungen eher schadet? Wenn es männliche Talahons gibt, warum nicht auch weibliche? Ob das nun gesellschaftlich erstrebenswert ist, bleibt eine zwar die Frage. Dass es eine – wie auch immer zu bewertende – Form von Gleichberechtigung ist, kann man allerdings nicht bestreiten.

Was das mit der Gesellschaft macht

Nun sieht man schon, wie sich in den älteren Generationen die Stirnen kräuseln: Was macht wohl dieser Einfluss mit der Gesellschaft macht? Es wird sie wohl nicht erschüttern und zerrütten. Mancherorts wird er zur Verrohung der Kommunikation und der Umgangsformen führen. Und man wird ein paar Negativbeispiele finden, bei denen junge Menschen auf die schiefe Bahn geraten. Aber: Wie damals bei den Punks ist keine ganze Generation mit „No Future“ verendet. Und auch im HipHop ist mittlerweile eine Generation von Männern mit dem brutalsten Gangsta-Rap groß geworden, ohne Banken zu überfallen, Drogen zu schmuggeln und Bandenkriege anzuzetteln. Wenn nun also auch die Frauen pöbeln und provozieren, was sollte daran schlimmer sein als zuvor bei den Macho-Männern? Höchstens vielleicht, dass diese sich jetzt in ihrer Macho-Haltung bedroht fühlen. Aber das wäre ja nicht weiter schlimm.

Shirin David: „Schlau aber blond“ (Universal). Live: 1. April Köln, Lanxess-Arena, 4. April Oberhausen, Rudolf-Weber Arena, 22. April Dortmund, Westfalenhalle, Tickets ab 74,50 Euro. Ikkimel: „Fotze“ (Sony). Live: 23. März Köln, Live Music Hall, 24. März Dortmund, FZW (beide ausverkauft)

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