Oberhausen. Der Spielplan im Theater Oberhausen ist so politisch wie nie: Intendantin Kathrin Mädler positioniert sich damit deutlich gegen Rechts.
Der Spielplan ist so politisch wie nie, der Erfolg gibt ihr Recht: Kathrin Mädler, seit 2022 Intendantin am Theater Oberhausen, setzt auf zeitgenössische Stoffe, die sich mit Themen wie Antisemitismus, Rechtsruck, Erinnerungskultur und Feminismus auseinandersetzen. 50.000 Besucher zog das in der Spielzeit 2023/2024 an. Für die laufende Theatersaison liegen zwar noch keine Zahlen vor, Mädler ist jedoch optimistisch, an den Erfolg anknüpfen zu können.
Als Vorsitzende der Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins rief Mädler auch die Kampagne „Theater für die Demokratie“ ins Leben. Wie ein solcher Slogan mit Leben gefüllt werden kann und warum die großen demokratischen Parteien der AfD das Feld der Kulturpolitik auf keinen Fall überlassen sollten, verrät die 49-Jährige im Interview.
Sie haben mit dem Deutschen Bühnenverein die Initiative „Theater für die Demokratie“ ins Leben gerufen, die sich klar gegen Rechtsextremismus positioniert. Bringt das wirklich etwas? Kommen die Menschen, die das erreichen müsste, überhaupt ins Theater?
Das ist ja die zentrale Frage, die wir uns alle stellen: Was können wir tun? Das diskutieren wir auch im Deutschen Bühnenverein. Was gerade fehlt, sind echte Räume, in denen sich verschiedene Menschen zu einem kontroversen Austausch treffen und überhaupt miteinander sprechen. Da würde ich die Theater immer als Orte sehen, die gerade in dieser Zeit zur Verfügung stehen sollten, um eine Stadtgesellschaft wieder zusammenzubringen. Ich glaube, dass wir als Theater für dieses Bekenntnis zur Meinungsvielfalt stehen müssen. Jede Aufführung ist vielschichtig, das Thema erreicht seine Zuschauer auf so vielen Ebenen. Theater ist dafür gemacht, sich darauf einzulassen, dass die Welt kompliziert ist.
Wie genau kann Theater denn die Demokratie stärken?
Die Gründung unserer Initiative war eine Antwort auf das Erstarken der Rechten, und natürlich ging es auch darum, ein Zeichen zu setzen. Es darf aber nicht beim plakativen Slogan bleiben, das muss gelebt werden. Die offenen Bürgerbühnen sind dafür ein Mittel. Oder unsere neu gegründete und bundesweit einzigartige Urban Arts-Sparte, die das Theater übergreifender denkt. Diese Sparte hat viele Menschen zu uns gebracht, die das Theater Oberhausen vorher nicht kannten. Außerdem gehört natürlich das Engagement der Theater an den Schulen dazu. Das ist aus meiner Sicht reinste Demokratie-Basisarbeit. Bei allen Angeboten müssen wir aber aufpassen, nicht belehrend und selbstgerecht zu werden. Es gibt bei Kulturschaffenden die Tendenz, sich auf der richtigen Seite zu fühlen. Auch das kann Räume verschließen.
In manchen Städten mischt sich die AfD in den Spielbetrieb ein, fordert etwa Genderverbote am Theater oder will Zuschüsse kürzen. Haben Sie solche Erfahrungen gemacht?
Bei meiner vorherigen Intendanz am Landestheater Schwaben in Memmingen hatte ich sehr konkrete Begegnungen mit der AfD. Damals wurde der Antrag gestellt, meinen Spielplan genauer zu prüfen, weil er aus ihrer Sicht zu radikal, feministisch und links war. Meine gute Erfahrung ist, dass alle großen Parteien diesen Antrag mit Verweis auf die Kunstfreiheit abgeschmettert haben. In Oberhausen wollte die AfD 2022 dem Afro-Light-Festival die Zuschüsse streichen, das misslang.
Sehen Sie die Kunstfreiheit in Gefahr?
Die ist zum Glück verfassungsrechtlich verbrieft, hoffentlich noch lange. Ich glaube aber, dass wir im Moment in der Theaterlandschaft auf eine schwierige Situation zulaufen: Die Haushalte stehen schlecht da, die Kultur ist finanziell unter Druck und wir haben einen großen Publikumswandel. Natürlich wird das Erstarken der Rechten Konsequenzen haben, da die AfD dann auch in den kommunalen Parlamenten mehr Gremien besetzt und über Kulturpolitik mitentscheiden darf. Der Argumentations- und Legitimationsdruck auf die Theater steigt. Ich hoffe sehr, dass alle demokratischen Parteien in einer starken Verteidigung bleiben. Die AfD hat erkannt, wie wichtig die Kultur ist, und konzentriert sich auf diesen Kulturkampf. In den Wahlprogrammen der anderen Parteien spielt die Kultur allerdings nur eine untergeordnete Rolle. Das halte ich für eine große Gefahr.
- Musks AfD-Wahlempfehlung ist Gift für die Meinungsfreiheit
- Droht ein Rechtsruck? Theaterstück in Bochum warnt vor AfD
- AfD in der Philharmonie: Techno im Stadtgarten als Protest
Sie setzen sich in dem von Ihnen inszenierten Stück „Bruder Eichmann / Geschwister Eichmann“ mit einem der schlimmsten Kriegsverbrecher und der deutschen Erinnerungskultur auseinander: Warum gehört Geschichte gerade jetzt auf die Bühne?
Die deutsche Vergangenheit interessiert mich schon lange: Ich habe das Gefühl, dass die Zeit uns etwas Grundsätzliches zu sagen hat darüber, was Menschlichkeit und Empathiefähigkeit sind und wie es überhaupt möglich ist, dass Menschen in Frieden miteinander zusammenleben. Das ist gerade jetzt besonders wichtig, um zu verstehen, wo wir nicht hinlaufen sollten. „Bruder Eichmann“ zeigt, dass diese Vergangenheit immer ein Teil von uns allen war. In dem Stück sitzen die Zuschauer mit der Familie Eichmann am Tisch, um sich zu fragen: Wie ungenau haben wir hingeschaut? Und wie unzureichend haben wir danach gefragt? Die Uraufführung Geschwister Eichmann spitzt das dann nochmal zu im Hinblick auf die deutsche Selbstgerechtigkeit im Umgang mit der NS-Zeit.
Premieren am Theater Oberhausen
Das Stück „Kazimira“, das das eigensinnige Leben einer Frau im ausgehenden 19. Jahrhundert mit der Geschichte Ostpreußens verwebt, feiert am Freitag, 17. Januar, um 19.30 Uhr Premiere. Das urbane Tanztheater „Preach“, inspiriert durch das Werk von James Baldwin, ist die erste Produktion der neuen Urban-Arts-Sparte und am 14. Februar in der Uraufführung zu erleben.
Die Premiere des von Kathrin Mädler inszenierten Stücks „Bruder Eichmann / Geschwister Eichmann“ am 15. März ist bereits ausverkauft. Für die Aufführung am 16. März gibt es noch Restkarten. Die Liebesgeschichte „Koller“ nach dem gleichnamigen Roman von Annika Büsing feiert am 27. März Premiere.
Der Spielplan wird flankiert von der Gesprächsreihe „Aus aktuellem Anlass“. Darin wird über Themen wie Patriarchalismus, den aufflammenden Antisemitismus und rechte Wutbürger gesprochen. Wie sind die Reaktionen darauf?
Ich weiß schon, dass wir mit dem Spielplan das Publikum herausfordern, weil wir viele emotionale und auch schmerzhafte Stücke bewegen. Man hat im Theater die Chance, die Menschen zu einem Austausch einzuladen. Weil Theater vielschichtig und eben nicht nur intellektuell oder pädagogisch ist, sondern immer auch eine ästhetische und emotionale Komponente hat. Dadurch werden Themen auf eine ganz andere Weise erfahrbar. Diese Gesprächsreihe hat sich mittlerweile ein gutes Stammpublikum erarbeitet und das ist wirklich schön. Das Schöne an Oberhausen ist, dass die Besucherinnen und Besucher hier keinen Dünkel haben. Anderswo gibt es Publikum, das Ihnen nach der „Faust“-Aufführung nochmal das Stück erklärt. Ich habe hier immer das Gefühl, dass sich die Leute von tollen Geschichten und Schauspielerinnen und Schauspielern begeistern lassen, ebenso von Themen. Das hat bisher cool funktioniert, die Leute sind an Bord.
Auch interessant
Auch mit Stücken wie „Kazimira“ und „Masel Tov Cocktail“ ist die aktuelle Spielzeit an Ihrem Haus so politisch wie nie: Warum ist Ihnen diese Auseinandersetzung so wichtig?
Das prägt meine Arbeit als Intendantin und Regisseurin immer schon. Ich begreife Theater als eine Gesellschafts- und absolut zeitgenössische Kunst, nur dann interessiert sie mich. Und Theater kann gesellschaftspolitisch visionär sein: Indem sie Themen anders beleuchtet. Die aktuelle Spielzeit „The Rest is History“ ist eine sehr starke Zuspitzung unserer Bemühungen, uns mit unserem Zeitmoment auseinanderzusetzen. Welche Lehren ziehen wir aus dem Erinnern und Forschen in der Vergangenheit für die Gegenwart? Vielleicht finden wir so heraus, warum gerade so vieles schief läuft.